Josie Wagner lebt in Hamburg, arbeitet als
Modedesignerin, hat mit dem Anwalt Edgar einen ruhigen, soliden und verlässlichen
Mann an ihrer Seite und eine gemütliche Wohnung. Das Paar plant, sich um ein
kleines Häuschen außerhalb der hektischen Großstadt zu kümmern. Und trotzdem
scheint Josie nicht glücklich zu sein. Irgendetwas fehlt in ihrem Leben. Sie
ist achtunddreißig und irgendwie immer noch nicht „angekommen“.
Als sie wegen eines Schreibens ihrer Bank
und des dort befindlichen Schließfaches unerwartet an ihre Großtante Martha
erinnert wird, gerät ihr tägliches Einerlei in Bewegung. Beim Öffnen des
Schließfaches fallen ihr ein wunderschönes Collier mit großen violetten
Steinen, die kunstvoll oval geschliffen und golden eingefasst und miteinander
verbunden sind, Ohrgehänge aus passenden Edelsteinen in Hell- und Dunkellila
mit jeweils einem tropfenförmigen grünen Stein, ein kleines Ölgemälde mit einer
jungen Frau, datiert auf das Jahr 1833, und ein an sie gerichteter Brief in die
Hände. In dem Schreiben überlässt Martha ihr das Collier als Vermächtnis einer
Sophie. Leider bietet sich sonst keinerlei Hinweis auf die Herkunft der
Schmuckstücke.
Während Edgar bereits eine Chance sieht,
durch den Verkauf des offenbar wertvollen Schmucks schneller an das geplante
Haus zu gelangen als gedacht, ist Josie mehr daran interessiert, die
Hintergründe ihrer unerwarteten Erbschaft herauszufinden. Die Chance dafür
könnte sich bei einem Besuch bei Verwandten in Idar-Oberstein bieten. Zwar
herrschte lange nur wenig Kontakt zu diesem Familienzweig, doch Josie wird von
Onkel Reinhard, dem Sohn von Martha, und dessen Frau Gisela herzlich
aufgenommen und begegnet einer ihr neuen Welt, und zwar der der Edelsteine.
Außerdem lernt sie Ada kennen, eine
Freundin der verstorbenen Martha. Durch sie entdeckt Josie eine Geschichte, die
Auswirkungen auf ihr Leben haben wird.
Im Jahr 1827 gehören Idar und Oberstein zu
den Schmuckzentren im deutschen Raum, wo unter anderem das dortige natürliche
Vorkommen an Achaten verarbeitet wird. Hier lebt Sophie, Tochter eines
Steinschleifers, mit ihren Eltern und sechs Geschwistern. Bereits mit 13
wünscht sie sich Karl, fünf Jahre älter als sie und Geselle bei Meister
Severin, als ihren zukünftigen Mann. Nicht nur sein gutes Aussehen, sondern
auch seine Klugheit – Karl weiß eine Menge über ferne Länder, besonders
Brasilien – nehmen ihn für sie ein.
Und genau nach Brasilien zieht es Karl. Er
sieht nur dort für sich und eine zukünftige Familie die Chance, zu einem
sicheren Einkommen zu gelangen. Er macht sich auf, seinen Traum zu verwirklichen. Jahre
später kehrt er zurück, und aus Sophie und Karl wird endlich ein Paar. Erneut
reist Karl allein nach Brasilien, dieses Mal jedoch bleiben irgendwann die
Nachrichten aus. Als Sophie es vor Sorge nicht mehr aushält, begibt sie sich
auf die Reise und sucht Karl im fernen Brasilien. Tatsächlich findet
sie ihn mitten im Dschungel in einem Indiodorf. Er ist krank. Allerdings
hat sein langes Schweigen noch andere Gründe, die sich Sophie nach und nach
offenbaren…
„Die Lilie von Bela Vista“ bietet mehr als
eine Liebesgeschichte. Es ist zunächst ein Roman auf zwei Zeitebenen, die gut
miteinander verknüpft sind. Zum einen bewegt sich Sylvia Lott mit der Handlung
um Josie in der Gegenwart, zum anderen führen Sophies Erlebnisse in die Mitte
des 19. Jahrhunderts. Dieser Teil ist umfangreicher und intensiver erzählt. Er
hat eine düstere Farbe und klammert zu jener Zeit gegebene unbarmherzige Zustände
nicht aus, vermittelt auf diese Weise eine ansprechende Schilderung vom
damaligen Leben. Dies gelingt der Autorin auch mit der anschaulichen und
lebendigen Beschreibung der Schönheit der Natur.
Zudem wird der Leser mit der Gewinnung von
Edelsteinen, dem Handel, der Bearbeitung bis zum fertigen Schmuckstück (damals
und heute) sowie geschichtlichen und ebenso politischen Hintergründen vertraut
gemacht, ohne dass die diesbezüglich eingearbeiteten Informationen maßlos und
überfordernd sind. Hier hat die Autorin gut recherchiert und reale Ereignisse
und Personen mit der Romanfiktion verbunden. Ein Nachwort und eine Zeittafel
ergänzen das Wissen nach der Lektüre zusätzlich.
Sylvia Lotts Protagonisten sind mit
charakterlichen Eigenschaften ausgestattet, die es ermöglichen, ihrem Handeln
und Denken zu folgen und dieses zu verstehen sowie mit Sympathie oder Ablehnung auf zu reagieren.
Josie ist manchmal ziemlich aufbrausend, beruhigt
sich aber auch schnell wieder. Sie beweist im Verlauf der Handlung viel Mut, Tatkraft
und Durchhaltevermögen. Auch Karl hat etwas Zupackendes und zugleich Feines. Er
ist der ideale deutsche Einwanderer: mutig, bescheiden und dickköpfig.
Daneben ist die Darstellung von Josie etwas
zurückhaltender. Wobei ihre Entwicklung zu einer selbstbewussten Frau, die
beherzt ihr Leben gestalten will, nachvollziehbar ist. Dadurch, dass ihre
Begeisterung für Edelsteine steigt und sie darum bei Edgar auf Unverständnis
und Ablehnung stößt, wird der weitere Fortgang der Beziehung vorhersehbar.
Im Verlaufe des Geschehens nähern sich
beide Frauen einander an, auch wenn eine tatsächliche Begegnung ja unmöglich
ist. Denn Josie – von Sophies Geschichte in den Bann gezogen – macht sich auf
deren Spuren ebenfalls nach Brasilien auf.
Und sie findet mehr als „Bela Vista“, eine
schöne Aussicht…
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Erschienen ist der Roman im Blanvalet Verlag, dem ich für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares danke.
Liebe Anke,
AntwortenLöschendas ist ein spannendes Buch.
Liebe Grüße und einen guten Abend
Elisabeth
Hallo Anke,
AntwortenLöschendas ist ja eine sehr umfangreiche Rezi, schon fast zu lang. Aber inhaltlich toll geschrieben.
Die Informationen über Edelsteine klingen super interessant.
Ich werde mir das Buch mal näher ansehen.
LG Barbara
Liebe Anke,
AntwortenLöschenich bin sehr beeindruckt, wieviel Du liest und welche Mühe Du Dir immer mit Deinen Buchbesprechungen gibst. Zwar bevorzuge ich normalerweise Thriller und Krimis, aber nach Deinen Rezensionen denke ich immer "hmmm, ich könnte ja mal..." - schlussendlich zieht es mich dann doch immer wieder zu Mördern und Toten und Gänsehaut. 😉 Aber wer weiss...
Einen schönen Abend wünsche ich Dir!
Herzliche Grüsse,
Nadia
Oh, das hört sich nach einem Buch ganz nach meinem Geschmack an!
AntwortenLöschenDanke für die Rezension, ich setze es auch mal auf meine Liste...
Cheers,
Corinna