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Dienstag, 5. Februar 2019

Rodrigo Raubein und Knirps, sein Knappe


Knirps, der eigentlich Hastrubel Anaximander Chrysostomos heißt und bisher braves Kind seiner Eltern gewesen ist, hat mächtige Träume: Ein Raubritter möchte er werden, genauso gefürchtet wie sein Vorbild der berüchtigte Rodrigo Raubein. Er will frei sein und Abenteuer erleben und glaubt, dass er das mit Mama und Papa Dick, ihres Zeichens biedere Puppenspieler, auf keinen Fall kann. Sie sind einfach zu verschieden. Während Knirps sich vor nichts fürchtet, fürchten seine Eltern sich vor fast allem. Und während Knirps alles verändern will, wollen die Dicks, dass alles so bleibt, wie es ist.

Eines Tages hat Knirps genug, und da er keine Angst kennt, macht er sich auf den Weg, um Seeungeheuer zu reiten, Eisriesen unter den Tisch zu trinken und mit dem Teufel Karten zu spielen.

Das Ziel seiner Reise: die Schauderburg auf dem Haarzuberg im Bangewald. Doch hier erwartet Knirps eine Überraschung. Raubritter Rodrigo Raubein, dessen Namen die Menschen nur hinter vorgehaltener Hand und in flüsterndem Ton aussprechen, weil schon seine Erwähnung als gefährlich gilt, scheint so gar nicht angetan von der Absicht des Jungen, sein Knappe werden zu wollen.

Was Knirps nicht ahnt, Rodrigo Raubein ist alles andere als das, was die Leute glauben oder vielmehr, was er sie glauben machen will. Denn in Wahrheit kann der Ritter keiner Fliege etwas zuleide tun, ja ist ein sehr ängstlicher Mensch und in der Seele zart wie ein Gänseblümchen. Er züchtet Kakteen, versorgt sich mit den Früchten aus seinem Gemüsegarten und möchte bloß von den Menschen in Ruhe gelassen werden. Deshalb veranstaltet er den ganzen Zinnober mit düsteren Gruselgeschichten und den entsprechenden Hinweisen und Skeletten rund um seine Schauderburg.

Obwohl er ihn eigentlich sympathisch findet, will er Knirps bald wieder loswerden. Und so erhält Knirps den Auftrag, alleine und ohne fremde Hilfe eine möglichst gefährliche Untat zu begehen, um sich als Knappe eines Raubritters würdig zu erweisen. Knirps wäre nicht Knirps, wenn er nicht genau das in Angriff nehmen würde...


Rodrigo Raubein und Knirps, sein Knappe“ stammt aus der Ideenschmiede von Michael Ende. Drei Kapitel seiner Geschichte hat er vor seinem Tod geschrieben. Nach vielen Jahren wurde sie Wieland Freund in gelungener Art und Weise mit viel Schwung, Kreativität und einen schelmischen Stil, der dem des verstorbenen Autors ähnelt, ohne diesen zu imitieren, zu Ende erzählt.

Die Geschichte ist, obwohl immer wieder betont wird, dass sie im finsteren, ja kohlpechrabendusteren Mittelalter spielt, in ihrem Kern farbenfroh und sprachlich ausdrucks- und stimmungsvoll, für Kinder und Erwachsene gleichermaßen anregend.


Genauso stellen sich die Figuren dar, nicht nur was ihre Charakterisierung betrifft, sondern gleichermaßen die bildgemäße Umsetzung. Es gelingt der Illustratorin Regina Kehn, ihre Zeichnungen der Vorlage anzupassen, ohne dass diese immer punktgenau zu treffen. Vielmehr bewegen sie sich in einem Spielraum, die die eigene Vorstellung anregen. Zudem verpasst Regina Kehn einigen Szenen eine witzige oder gar moderne Note, wenn beispielsweise Basecap, Reithelme und Erste-Hilfe-Tasche ihren Einsatz finden. Daher sind sowohl beim Lesen als auch Anschauen der Bilder Spaß und Augenzwinkern gesichert.

Knirps als eine der Hauptfiguren ist kein wirklicher Held, weil er keine Angst kennt. Er begreift im Verlauf des Geschehens, dass erst derjenige mutig ist, der Angst hat und seine Angst überwindet. Sie lehrt ihn, die guten von den bösen Taten zu unterscheiden… Um böse zu sein, braucht man keinen Mut. Mut braucht man nur für das Gute.“ (Seite 162)

Natürlich existiert auch ein richtiger Schurke in der Geschichte, und der machthungrige Zauberer Rabanus Rochus darf seine Biestigkeit ordentlich ausleben. Ach ja, einen Gehilfen, den bösartigen und ein wenig tumben Drachen Wak, gibt es außerdem.


Nicht vergessen seien der weise Medicus Padrubel und dann noch Filipa Annegunde Rosa, eine Prinzessin aus Überzeugung, immer und mit jeder Faser ihres Herzens. Sie kann nichts so schnell erschüttern, und sie lässt nichts gefallen. Aber Flip ist auch eine Prinzessin mit vielen klugen Ideen und Überlegungen. „Wer lügt, sagt mit Absicht die Unwahrheit über etwas, das in Wirklichkeit ganz anders ist. Wer eine Geschichte erzählt, sagt hingegen die Wahrheit, selbst wenn er die Wirklichkeit dabei ein bisschen verdreht. Er sagt auf eine komplizierte Weise die Wahrheit. Obwohl er es manchmal selber nicht weiß.“ (Seite 97)


Sokrates muss ebenfalls noch erwähnt werden. Was wäre die Geschichte ohne den fast hundertjährigen sprechenden Papageien, der immer wieder nachdenklich die Ereignisse begutachtet.


Sie alle bilden eine vielfältige, lebensfrohe (ausgenommen vielleicht der melancholische König Kilian der Letzte, der den Frohsinn erst wieder lernen muss) und schillernde Figurentruppe, in der letzten Endes jeder seinen Platz findet. Bis auf Rabanus Rochus. Gerechterweise.

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Erschienen ist das Buch im Thienemann-Esslinger Verlag, dem ich für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares  danke.

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