In
Frankfurt am Main finden um 1963 von den Menschen zunächst wenig
beachtet die Vorbereitungen für den ersten Auschwitz-Prozess statt.
Auch für Eva Bruhns, die in einer Agentur als Dolmetscherin für
Polnisch angestellt ist, hat dies keine Bedeutung, bis sie
überraschend gebeten wird, bei der Staatsanwaltschaft die Aussage
eines Mannes zu übersetzen. Während der eindringlichen Schilderung
des Zeugen erfährt sie Unglaubliches, ja Unfassbares über
Ereignisse im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz.
Hat
es dieses absurde und monströse Geschehen, dass Gefangene in dem
Lager vergast wurden, tatsächlich gegeben?
Durch die Beschreibungen sensibilisiert, entwickelt Eva eine
besondere Nähe, so dass sie sich als Ersatz für den ausgefallenen
Übersetzer im Prozess zur Verfügung stellt.
Die
unbedarfte junge Frau stammt aus gutbürgerlichem Haus und lebt mit
ihrer älteren Schwester Annegret, einer auf der Neugeborenenstation
tätigen Krankenschwester, und ihrem jüngeren Bruder Stefan noch bei
ihren Eltern. Ludwig und Edith Bruhns betreiben
das beliebte Lokal „Deutsches“ Haus“, in dem sie gutbürgerliche
Küche auf den Tisch bringen. Der Vater kocht mit Leidenschaft, die
Mutter bedient die Gäste.
Als
ihre Eltern von Evas Vorhaben erfahren, reagieren sie mit Ablehnung.
Von ihrer Mutter Edith bekommt Eva zu hören: „Lass die
Vergangenheit Vergangenheit sein, Eva. Das ist das Beste, glaub mir."
(Seite 67) Für ihre Schwester ist unbegreiflich, auf was sie sich da
einlassen will. Der Krieg liegt doch in weiter Ferne. Und so schlimm
es auch gewesen sei, über das damalige Geschehen sei am besten der
Mantel des Schweigens gezogen.
Selbst
ihr Verlobter Jürgen, dessen Vater einen erfolgreichen Versandhandel
betreibt, ist vehement gegen Evas Vorhaben. Obwohl gerade auch
Jürgens Vater als Kommunist von den Nazis verfolgt und eingekerkert
wurde, vermeidet Jürgen den Rückblick in die Vergangenheit.
Außerdem hat nach seiner Ansicht Eva als seine zukünftige Frau
seinen Wünschen zu gehorchen, so dass er sie vor die Wahl stellt,
entweder am Prozess teilzunehmen oder die Beziehung zu beenden.
Wenngleich Eva Gefahr läuft, die gute Partie, die sie mit Jürgen gemacht hat,
zu verlieren, und sie sich nicht für willensstark und selbstsicher
hält, regt sich in ihr ungeahnter Widerstand, sich dem gängigen
Rollenbild von der gehorsamen (Ehe)Frau nicht zu fügen.
Und
so beeinflusst der Verlauf des Verfahrens nicht nur Eva und ihre
Sicht auf das Leben. Während die Aussagen der Opfer und das damit
verbundene Leid sich in Eva Kopf einbrennen, empört
sie die augenfällige Uneinsichtigkeit, ja maßlose Überheblichkeit
die Angeklagten, keinerlei Schuld zu tragen.
Infolge des Prozesses verschlechtert sich
nicht nur die Beziehung zu Jürgen, sondern auch ihre Eltern
reagieren immer noch mit Ignoranz und Unverständnis. Eva kommt der
ungeheuerliche Verdacht, dass sie etwas vor ihr verbergen. Und sie
entdeckt, dass sich in ihrer eigenen Familie Abgründe auftun...
Mit „Deutsches Haus“ hat die
Drehbuchautorin Annette Hess ihren ersten Roman geschrieben, mit dem
sie einen Beitrag zur Aufarbeitung der Vergangenheit leistet.
Im
Grundgerüst ist ihre Geschichte gut erzählt und wirkt in ihrem
dramaturgischen und mit Wendungen versehenen Gesamtbild filmisch prägnant in Szene gesetzt. Besonders die Darstellung der Welt im
Kleinen, des Alltags einer einfachen bürgerlichen Familie und die
Beschreibung des damaligen Frauenbildes sowie des Loslösens aus
einer vorgezeichneten Rolle gelingen der Autorin. Ebenso belegt die
Schilderung der Ereignisse im Gerichtssaal des ersten
Auschwitz-Prozesses eine aufwändige Recherche und erzeugt beim Lesen
einen nachhaltigen Klang. Dabei gibt es Schicksale, die einem nahe
gehen, beispielsweise das des jüdischen Ungarn Otto Cohn, der als
Zeuge vor Gericht aussagt. Auch die Begegnungen in Auschwitz sind
voller Kraft und Berührung.
Leider
erschließt sich der Hintergrund des von Annette Hess gewählten Handlungsstrangs
bezüglich Evas Schwester Annegret nicht in Gänze. Zudem
wird der Lesefluss durch einige unbeholfene Unebenheiten in
sprachlichen Ausarbeitung gehemmt.
Während
Eva Bruhns mit einer glaubwürdigen Charakterisierung die
Lesersympathie gewinnt, entwickeln sich bei anderen Protagonisten zum Teil gemischte, zweifelnde Empfindungen. Besonders David, der
Rechtsreferendar, der unter einer eingebildeten Opferrolle leidet,
hinterlässt einen bitteren Beigeschmack. Daneben ist Jürgen, Evas
kleingeistiger Verlobter, ebenfalls nicht wirklich greifbar, und seine
Intention bleibt blass.
Bedeutend
hingegen ist die Auseinandersetzung der Autorin mit der zwanzig Jahre
nach Beendigung des Krieges weiterhin vorhandenen Einstellung der
Deutschen, sich nicht mehr mit der eigenen Vergangenheit beschäftigen
zu wollen, das Geschehene zu verdrängen und damit ihre Kinder im
Ungewissen zu lassen. Vor allem die Beschäftigung mit der Frage, ob
die Behauptung, keine Wahl gehabt zu haben, nicht einfach nur
Schönfärberei des eigenen Gewissens gewesen ist, ist nach so
langer Zeit immer noch wichtig...
3,5 Sterne