Berlin
kommt Ende 1918 nicht zur Ruhe. Gerade ist der erste
Weltkrieg beendet worden, der unvorstellbares und schreckliches Leid über die Völker
gebracht hat. Und noch hält die Novemberrevolution die Menschen in
Atem, in deren Folge das deutsche Reich zu einer Republik geworden
ist. Die instabile Regierung hat die Lage nicht im Griff. Aufruhr,
andauernde Scharmützel und Straßenschlachten, in denen quasi jeder
gegen jeden kämpft, lösen weiteres Chaos aus.
In
dieser Zeit trifft die junge Fritzi in der Großstadt ein. Die
Tochter eines Müllers aus Rieseby in der Nähe von Eckernförde ist
auf der Suche nach Benno, dem Vater ihrer Tochter Christel. Vier
Jahre lang hatte sie darauf gehofft, dass ihre Jugendliebe wieder heimkehrt. Nun
will sie nicht länger warten und ihm nach all der Zeit
offenbaren, dass er Vater ist und sie heiraten soll.
Als
sie Benno endlich findet, ist dieser gar nicht begeistert. Der
Matrose hat auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg Unterschlupf bei Vera
gefunden und sich in die Schneiderin verliebt. Vera trägt die
Verantwortung für Familie und Haushalt, auf ihren Schultern lastet nach dem
Tod des Vaters allein die Sorge für die Mutter, bis ihr Bruder Georg aus dem Krieg zurückkehrt und sie die
Werkstatt erneut eröffnen können. Als Georg dann in der Tür
steht, erschrickt Vera über die Veränderung des jungen Mannes.
Fabrikantentochter Hanna hat andere Pläne als ihre Familie. Nach
vier Jahren, die sie als Hilfsschwester in Kriegslazaretten arbeitete, möchte sie jetzt Schwester "mit allem Drum und
Dran" werden. Zwar entschädigt ihr gutes Verhältnis zum Vater, der
bislang stets ihr einziger und mächtigster Verbündeter ist, sie für
die fehlende Zuneigung ihrer Mutter Irene, aber ob er auch ihren
Wunsch nach Selbstverwirklichung ohne einen Ehemann verstehen wird,
ist fraglich. Und ob er gar die Liebe seiner Tochter zu einer Frau
akzeptiert, mehr als unwahrscheinlich...
„Das
Zeitalter der Frauen bricht an..“ (Seite 151)
Mit
„Die Frauen vom Alexanderplatz“, wobei sich der Titel als unpassend gewählt entpuppt, beleuchtet Elke Schneefuss das
Schicksal von drei jungen Frauen unterschiedlicher sozialer Herkunft,
die im Angesicht des Endes des ersten Weltkriegs, der
Novemberrevolution und der Auswirkungen dieser gesellschaftlichen
Umbrüche ihr Leben mehr oder weniger selbst in die Hand nehmen und
auf der Suche nach Erfüllung und eigenem Glück sind und dabei
Hindernisse und Niederlagen Hindernisse überwinden müssen.
Die
Einbindung des historischen Hintergrundes ist sicher und äußert
sich in Momentaufnahmen, die dem Geschehen eine gewisse Würze geben
und es möglich machen, die Menschen im Wandel der Zeit zu
begleiten. Dabei gibt die Autorin bei der Schilderung in drei
abwechselnden Erzählsträngen ihren Heldinnen Hanna, Vera und
Fritzi, die sich bis auf eine Ausnahme niemals begegnen, den nötigen
Raum der Entfaltung, wenngleich hierdurch bisweilen die Intensität,
besonders bei der Darstellung von Emotionen verlorengeht.
Wiederholungen in Gedankengängen und Dialogen wirken zudem
gelegentlich angestrengt, seien allerdings verziehen, da die Autorin
ansonsten mit ihrem lebendigen Schreibstil gut unterhält.
Alle
Frauen vereint, dass sie sich nicht mehr an die überkommende
Moralvorstellungen und Konventionen halten und die ihnen als
weibliche Person gesetzten Grenzen sprengen oder überschreiten
wollen.
Mit
bewundernswerter Geduld und ebensolchem Geschick, vielleicht auch
beschwerlicher Hartnäckigkeit verfolgt Hanna mutig und konsequent
ihren Traum vom Ergreifen eines medizinischen Berufes und der
Erfüllung ihrer Liebe zu Cora.
Vor
allem ihre Vera lässt sich die Butter nicht vom Brot nehmen und ist
nach anfänglichem Zögern sehr couragiert, nachdem ihr Bruder
heimgekehrt. Georg ist im Krieg ein anderer geworden, der Wandel, den
er durchgemacht hat, ist katastrophal. Mitten in einem Gebiet, in dem
jede Menge Kommunisten und Sozialisten wohnen, agieren er und seine
Männer von der Reichswehr und gefährden Hab und Gut und Leben der
Menschen.
Fritzis
Leben im Dorf als ledige Mutter ist kein Zuckerschlecken. Die Leute
schneiden sie, es wird viel getratscht. Sie möchte dem Gerede ein
Ende bereiten und eine „ehrbare“ Frau werden. Moralisch ist sie im
Recht. Doch schmerzhaft begreift sie, dass Benno nicht mehr der Mann
an ihrer Seite sein wird, weil man Liebe nicht erzwingen kann. Indes
findet sich das Glück manchmal unerwartet an anderer Stelle…
Elke Schneefuss' „Die
Frauen vom Alexanderplatz“ ist als beispielhafte Lektüre für den
Aufbruch dreier Frauen in einer neuen Zeit durchaus zu empfehlen.
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