Es
ist das Jahr 1912. Eigentlich ist Elisabeth Kuhlmann von Kindesbeinen
an die Geräusche der Großstadt gewohnt. Allerdings lebt sie nun mit ihrer
Familie nicht mehr in der hektischen Reichshauptstadt Berlin, sondern
im von hellen Buchenwäldern und Moor umgebenen, nur sechs Kilometer
von der Ostsee entfernten Doberan. Hier hat ihr Vater ein Jahr zuvor
das luxuriöse Hotel Palais Heiligendamm eröffnet. Indes erweist sich die Idylle ohne hupende Automobile und laute
Straßenhändler als trügerisch, denn die neidvolle Konkurrenz des
Grand Hotels im benachbarten Heiligendamm offenbart sich nicht als einzige
Bedrohung für den Erfolg. Ebenso zeichnen sich Umbrüche und
gesellschaftliche Veränderungen ab, die ein Umdenken erforderlich
machen. Ob sie auch Elisabeth die Chance bietet, ihren Traum von einer Arbeit im Hotel zu erfüllen?
Michaela
Grünig hat mit „Palais Heiligendamm. Ein neuer Anfang“ einen
Roman geschrieben, der in einer atmosphärischen
Dichte hervorragend die
Jahre
am
Anfang des 20. Jahrhunderts einfängt
und die agierenden Figuren
mit
sprachlichTer Sicherheit
in einen historisch ansprechenden Fokus setzt. Hierbei
schildert
sie gut
die
örtlichen Gegebenheiten, beschreibt
detailliert
den
Alltag eines Luxushotels und die
Stellung der Menschen unterschiedlicher Gesellschaftsschichten und
füllt ihre Geschichte mit stimmungsvollen Ereignissen und Emotionen,
die
auch kleingeistiges
und borniertes Verhalten, die
geschlechtliche Orientierung sowie
antisemitische
und andere menschenverachtende Ansichten umfassen.
Während
zunächst in erster Linie im
beschaulichen Doberan die Segel gesetzt und einige Hürden genommen
werden,
nimmt die Handlung
im weiteren Verlauf ordentlich Fahrt auf und lässt uns an den verschiedenen Schauplätzen
nicht nur stille Brisen, sondern ebenfalls Stürme erleben. Gekonnt
werden dabei die Klippen umschifft, die mit Kitsch und Klischees für
einen Schiffbruch oder gar Untergang hätten sorgen können.
Vor allem ist Michaela Grünig die Gewichtung geglückt, mit
der sie
in
einem fassbaren Maß intensive Einblicke
in das Geschehen des ersten Weltkrieges ermöglicht und
die Gräuel eindringlich beleuchtet.
Am
Beispiel des
jungen Paul
Kuhlmann
wird deutlich, mit welcher Euphorie die jungen Männer voller
Patriotismus freiwillig und siegessicher in den Krieg zogen, der bald
die Ernüchterung, das Elend – nicht allein der Soldaten – und große
Hoffnungslosigkeit folgten. Die Auswirkungen, von denen das gesamte
Land und die Menschen betroffen sind, erfahren eine ausführliche
Darstellungen, die von unserem Mitleid begleitet werden.
Die
Ausführung der Charaktere in ihrer Vielfalt und mit den Ecken und
Kanten ist meisterhaft. Mit
außerordentlich wahrnehmbarer Empathie schaut Michaela ihren Protagonisten ins Herz und
bringt uns
ihr Innerstes näher, auch
wenn dies nicht immer vergnüglich ist und unsere Zustimmung erfährt.
Gerade
die neunzehnjährige Elisabeth Kuhlmann zeigt
ein ein vielschichtiges
Wesen.
Sie verfügt über einen scharfen Verstand und will ihre Zeit nicht
mit langweiligen Stickarbeiten und Musikstunden verschwenden, stattdessen etwas Sinnvolles tun, womit sich ihre standesbewusste Mutter
keineswegs anfreunden kann. Vielmehr soll Elisabeth mit dem Schicksal der
anderen Frauen arrangieren, das Ehe und Mutterschaft vorsieht, aber
keineswegs den Besuch einer Hotelfachschule und die Arbeit im Hotel
des Vaters. Das macht sie sympathisch, ebenso wie ihre Art, offen für
die Nöte der Untergebenen zu sein und ihr Glaube, dass der Charakter
eines Menschen unabhängig von seiner Herkunft beurteilt werden
sollte. Doch
sie ist zugleich eigen und hat ihren
Kopf für sich.
Trotz
aller Hindernisse versucht sie, ihren Weg in der Gesellschaft zu gehen, auch wenn dieser nicht unbedingt konform mit den herrschenden
Ansichten ist. Insofern
ist
ihre
Reaktion auf einen
Mann wie Julius
Falkenhayn interessant.
Dieser
bietet ihr Kontra, und Elisabeth muss erst lernen, mit den daraus
resultierenden Irritationen – auch auf der Gefühlsebene – klarzukommen. Dabei
könnte sie in ihm den richtigen Unterstützer ihres eigenen
Bestrebens finden.
Denn
Julius Falkenhayn ist offen, er
sieht
Frauen nicht
als dummen
Schäfchen, die
sich kampflos
in ihr Schicksal fügen sollten.
Seine Vergangenheit als Waise hat ihn für das Leben geprägt, ohne
ihm Zynismus zu verleihen. Er beurteilt die Dinge mit wachen Augen,
ist
ein
intelligenter
und mitfühlender Mensch, der
seine Meinung konkret formuliert.
Beeindruckend
ist die Entwicklung des Stubenmädchens Minna, einer
liebevollen,
behutsamen
Persönlichkeit, die
es im Laufe der Jahre erreicht, ihre Schüchternheit und Angst
weitgehend abzulegen und selbstbewusster zu sein.
„Ein
neuer Anfang“ - Michaela
Grünig hat für ihre Helden
noch einiges vorgesehen. „Stürmische Zeiten“ warten auf sie, im
„Palais Heiligendamm“. Wir werden ihnen also wiederbegegnen...