1272 gerät das Heilige Römische Reich in eine prekäre Situation. Nach dem Tod Richards von Cornwall scheitert die Wahl des nächsten Königs durch die sogenannten Königswähler, einem engen Kreis von geistlichen und weltlichen Kurfürsten, daran, sich auf einen Kandidaten zu einigen.
Zu den Anwärtern gehört Přemysl Ottokar von Böhmen, der nicht nur das Herzogtum Österreich, sondern unter anderem auch die Steiermark, das Egerland und Kärnten beherrscht und über Besitzungen vom Erzgebirge bis zur Adria verfügt. Wegen dieser beeindruckenden Machtposition kann er bei der Königswahl nicht einfach übergangen werden. Přemysl Ottokar selbst mobilisiert alle Kräfte, um sich die begehrte Krone aufs Haupt setzen zu lassen. Dafür bedarf es nicht nur intensiver Verhandlungen, sondern ebenso der Unterstützung von Verbündeten.
In den vergangenen zwei Jahren hat das Herzogtum Österreich einiges miterlebt, unter anderem die zahlreichen Reibereien mit den Ungarn, die erst im Sommer zuvor mit einem Schluss eines Friedensvertrages zu einem Ende gekommen sind, zumindest vorläufig.
Přemysl Ottokar plagen zum einen Geldnöte und zum anderen die Schwierigkeiten bei der Versorgung seines Heeres. Das bekommen seine Vasallen zu spüren, weil er von ihnen höhere Abgaben fordert. Er wird immer verbissener und seine Vorgehensweise härter. Dietmar von Losenstein ist ob dieser Umstände frustriert, denn seine Treue zu Přemysl Ottokar sieht er noch nicht durch ein würdiges Amt – wie das des Grafen von Styra – belohnt.
Indes ist Dietmar nicht der einzige, der den Anspruch von Přemysl Ottokar in Frage stellt. Das Lager der Gegner des Herzogs wächst und bleibt nicht untätig. Es will einen Zeugen auftreiben, mit dessen Aussage eine mögliche Kandidatur des böhmischen Königs verhindert würde. Auserkoren für diese eindeutig gefährliche Suche ist unter anderem Arnulf von Steinbach, der als Freund Dietmars von Losenstein fest an seiner Seite steht.
Ihr größter Widersacher, Irenfried von Styra, hingegen sieht seine Stunde gekommen, sich im Dunstkreis von Přemysl Ottokar zu profilieren. Erweist er sich als treuer Vasall, hofft er auf die Chance, eine der Töchter des Herzogs zu ehelichen. Aber die ihm erteilte Aufgabe ist risikoreicher als gedacht. Der mitleidlose und zur Brutalität neigende Irenfried wäre allerdings nicht er selbst, wenn er nicht eine Lösung für sein Problem finden würde.
Auch das Dorf Raming wird von den Forderungen Přemysl Ottokars nicht verschont. Angetrieben vom rücksichtslosen Irenfried sollen die Männer Holz für die zahlreichen Waffenschmieden liefern. Als die Baumstämme auf der zu viel Wasser führenden Enns geflößt werden, geschieht ein großes Unglück.
Das bringt bei Claus, Knecht auf dem Hof des Meiers Rudwin, der letztlich ohne auf die Ratschläge erfahrener Männer hören wollte, die Anweisung zum Flößen der Stämme gegeben hatte, das Fass zum Überlaufen.
Rudin hasst Claus, weil dieser klüger ist als er. Zugleich hat er Angst, dass die anderen Bauern herausfinden, dass die Vorschläge zur Bearbeitung der Felder von Claus zwar besserwisserisch klingen, gleichwohl ehrlich und bedacht sind und Veränderungen zum Wohle der Bauern in Raming schaffen würden.
Ännlin, die fern von den Menschen groß geworden und völlig ahnungslos von der Welt außerhalb des Waldes gewesen ist, fühlt sich nach wie vor einsam und niemandem zugehörig, obwohl das Schicksal sie mit Euphemia von Eberstorf zusammengebracht hat, der sie bei einem Raumüberfall das Leben rettete und die sie als Zofe in ihre Dienste nahm. Die junge Frau hat so etwas wie eine Heimat gefunden. Euphemia ist freundlich zu ihr und einer der wichtigsten Menschen im Ännlins Leben. Sie bietet ihr Unterkunft und Schutz. Aber dann verliebt sich Ännlin, und sie fühlt sich hin und her gerissen.
Euphemia wiederum wollte Nonne werden, damit sie schreiben und lesen lernen kann, denn Bücher üben eine enorme Faszination auf sie aus. Doch im Gegensatz zu Ännlin ist Euphemia wesentlich unfreier, in ihren Entscheidungen oder gar in der Liebe. Nach ihrer Wut und Trauer über ihre überstürzte Hochzeit mit Dietmar von Losensteinhat sie ihr Los angenommen, ihre Aufgabe, eine anständige Ehefrau zu sein, Kinder zu gebären und sich um die Ordnung im Haushalt ihres Ehemannes zu kümmern, zu erfüllen. Und plötzlich stellt sich auch bei ihr unerwartet die Liebe ein.
Vor einem historischen Hintergrund, der viel Zündstoff bietet, liegt nicht allein „Die Welt im Nebel“. Viele der Beteiligten geraten in konfliktreiche Auseinandersetzungen und Verschwörungen.
„Graue Wolken, so weit das Auge reichte. Die Welt liegt im Nebel, dachte Claus, hier in Raming ebenso wie im Rest des Römischen Reiches … Überhaupt schien ihm sein ganzes Dasein vernebelt. Nirgends konnte er einen Weg erkennen, der ihn zu einem zufriedenen Leben an der Seite einer Frau führte, die er liebte.“ (Seite 391)
Mit der Handlung in „Die Welt im Nebel“, dem zweiten Band ihrer Österreich-Saga, knüpft Ana Pawlik nahtlos an das Geschehen des ersten Bandes an. Dank immer wieder eingestreuter Rückblenden gelingt ein Einstieg in die Geschichte auch für Leser, die sich die Freude an der Lektüre von „In den Klauen der Macht“ versagt haben und darum keine Vorkenntnisse besitzen.
Ana Pawlik hat die Einarbeitung historischer Hintergründe und Begebenheiten intensiviert. Geschickt verbindet sie die von ihr hervorragend recherchierten geschichtlich nachweisbaren Ereignisse in einer politisch aufgeladenen Phase des Umbruchs im Herrschaftsgefüge des Heiligen Römischen Reichs mit einem fiktiven Geschehen. Dadurch wirkt die Handlung sehr authentisch.
Mittels prägnanter Veranschaulichung der Gegensätze zwischen den unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, insbesondere der Lebensumstände der einfachen Bevölkerung, der Bauern, Knechte und Mägde, eröffnet sich uns eine intensive Sicht auf ein alltägliches Dasein, die zum Mitfiebern, Mitleiden und Mitfreuen einlädt. Hierbei fehlt es nicht an einer Schilderung des Umfeldes, in denen sich der niedere Adel bewegt. Die Autorin macht deutlich, dass auch diesbezüglich eine deutliche Art von Unfreiheit herrscht und Glück und Erfolg gleichermaßen erkämpft werden müssen.
Treu bleibt die Autorin auch den wechselnden Perspektiven, in denen sie die Ereignisse erzählt. Zu keiner Zeit verliert sie den Faden. Auch der zweite Band hält die Spannung wirklich hoch und ist in der Beschreibung der Schauplätze sehr visuell.
Stärken und Begeisterung zeigt Ana Pawlik ebenfalls in der Figurenentwicklung. Ihre Charaktere agieren kraftvoll, herausfordernd und emotional, wirken leidenschaftlich und glaubwürdig und wecken Gefühle in uns, demzufolge wir unsere Sympathie und Antipathie verteilen.
Im zweiten Band ist ein Personenregister vorangestellt, das den Überblick über die Protagonisten erleichtert. Daneben verschafft eine Landkarte die Möglichkeit der Orientierung. Zu guter Letzt klärt die Autorin im ausführlichen Nachwort, was Fiktion und was historische Wahrheit ist. Erwähnt werden soll außerdem das individuelle, von der Künstlerin Lenka Fiala entworfene Cover, das sich von der Masse abhebt und ausgezeichnet zu einem wesentlichen Inhalt der Geschichte passt.
Ana Palik beweist mit „Die Welt im Nebel“, dass sie ihre Fähigkeit nach ihrem Debüt „In den Klauen der Macht“ wiederholt: Sie hat einen eindrucksvollen historischen Roman verfasst, bei dem die hochwertige Erzählkunst in seiner Gesamtheit überzeugt und folglich anerkannt und bewundert werden muss. Aus diesem Grund steht die Autorin mit ihrem Werk unzweifelhaft zurecht um zweiten Mal in Folge auf der Shortlist für den Goldenen HOMER.