„Keep
your friends close, but your enemies closer.“ / „Halte deine
Freunde nah, aber deine Feinde noch näher.“ sagte
schon Al
Pacino als Don Michael Corleone in
DER
PATE
2.
Doch
was geschieht, wenn die Grenze zwischen Freund und Feind nicht (mehr)
erkennbar ist? Wenn sich vermeintliche Freunde als Feinde
herausstellen? Wenn Aufrichtigkeit,
Vertrauen,
Loyalität und Treue verloren gehen?
Ihr traditionelles Treffen während des Jahreswechsels verbringt eine
Gruppe von Freunden, die die gemeinsame Studienzeit in Oxford
verbindet, in den abgelegenen schottischen Highlands. Dieses Mal hat
Emma, die Lebensgefährtin von Mark, die erst vor drei Jahren zur Gruppe
gestoßen ist, den Aufenthalt auf dem exklusiven und
idyllischen Landgut Loch Corrin
in der winterlichen Wildnis organisiert. So
atemberaubend die Landschaft auch ist. Es ist kalt.
Und dunkel.
Einsam obendrein.
Neben
Mark und Emma sind Miranda und ihr Ehemann Julien, Nick und sein
amerikanischer Partner Bo, Samira, ihr Ehemann Giles und ihr Baby
Priya und Single Katie angereist. Die Managerin des Landguts, Heather, und
Wildhüter Doug versorgen die Gäste, zu denen außerdem noch
ein fremdes Pärchen zählt.
Einst
standen sich die Freunde sehr
nahe und hatten viel Spaß miteinander. Inzwischen gehören die
damaligen Gemeinsamkeiten der Vergangenheit eines unkomplizierten
Lebens an, weil familiäre und berufliche Verpflichtungen der
Freundschaft in die Quere gekommen sind. So haben sich die Freunde im
Lauf der Zeit auseinandergelebt und legen nicht mehr so viel Wert auf
die Gesellschaft der anderen. Was
allerdings auffällt: Sobald sie
den Jagdsitz betreten,
spielen sie ihre alten Rollen aus College-Zeiten. Es
beginnt harmlos, dann erhöhen sich
die Feindseligkeiten, nicht
aufhaltbare Ressentiments und
die Offenbarung von Geheimnisse. Bis
das Geschehen im Tod eines
Menschen gipfelt und klar ist, dass dieser keines natürlichen Todes
gestorben ist.
Während
ein Schneesturm die Gäste von der
Außenwelt isoliert und
verhindert, dass die Anwesenden das Lodge verlassen können und die
Polizei ihre Ermittlungen aufnimmt,
stellt sich die Frage, wer das Opfer und wer der Täter ist?
Lucy
Foley zieht ihre Leser von Anfang an in die Geschichte hinein. Sie
startet ihren Thriller „Neuschnee“ nämlich mit dem Auffinden
einer Leiche, ohne aufzuklären, um wen es sich handelt. Danach
wechselt sie ständig die Zeitebenen und verschiebt die Ereignisse zwischen der Entdeckung des Mordes und der Ankunft der Freunde in den
Highlands drei Tage zuvor. Gleichzeitig jongliert die Autorin mit den
Perspektiven einzelner Charaktere. So berichten Miranda, Katie, Emma
und Heather aus ihrer jeweiligen Ich-Position heraus und ermöglichen
einen Einblick in ihr Inneres, lediglich Dougs Part fällt aus diesem Rahmen.
Insgesamt ist dies stimmungsgeladen und mit Scharfsinn erzählt. Denn mittels der Cliffhanger innerhalb der Perspektiven und der
Verwendung von nicht unbedingt neuen, gleichsam unheimlichen, ja
durchaus gruseligen Momenten kreist Lucy Foley geschickt die Wahrheit
ein und lässt die Leser nicht nur
an der Motiv- und Tätersuche sowie der Auflösung teilhaben, ohne
dass zu irgendeinem Zeitpunkt zu
verwirren,
sondern bietet außerdem einen Blick hinter die Kulissen von
vermeintlich perfekten Beziehungen, das Dasein als Eltern oder als
Single.
Obwohl sich Mark und Emma, Miranda und Julien, Nick und
Bo, Samira und Giles sowie Katie seit Jahren kennen, und auch trotz
der (aufgesetzten) Fröhlichkeit und der guten Laune ist es
zum Beispiel für eine Außenstehende wie Heather unschwer festzustellen, dass etwas in diesem Freundschaftsgefüge nicht stimmt und
sie sich und ihre Geheimnisse voreinander verstecken. Bis zur
unausweichlichen Implosion.
Lucy
Foley legt den Fokus auf ihre
Figuren, und ihr Vermögen, diese
präzise ins ins Licht oder auch
Dunkel zu setzen, ist ausgesprochen anschaulich
und detailliert, allerdings mit geringen Wiederholungen in der Beschreibung. In der
Gruppe der Freunde gibt es die
attraktiven, eleganten, erfolgreichen, stillen, langweiligen,
harmlosen Personen, indes können nur
wenige Sympathieträger
ausgemacht
werden. Es
geht um Macht und Kontrolle, im der
Großteil zeigt
sich egozentrisch und
unberechenbar. Dadurch stimmen sie wahrscheinlich mit gängigen Stereotypen überein, was aber
nicht gravierend ins Gewicht fällt,
spricht es doch für ein realistisches,
durchaus fehlerhaftes menschliches Bild.
Im
Gegensatz dazu hat Lucy Foley zwei Protagonisten erdacht, die in
ihrem Leben große Verluste erleiden mussten und versuchen, eine traumatische
Vergangenheit zu bewältigen. Heather und Doug schätzen die
Einsamkeit der Highlands und die Abgeschiedenheit des Landguts,
weil sie hier nicht jeden Tag mit dem konfrontiert werden, was sie
verloren haben. Ihre Schicksale erhöhen die Dramatik der Geschichte
genauso wie die Tatsache, dass ein Serienmörder in der Gegend
gesichtet wurde...
„Neuschnee“
von Lucy Foley erweist sich als ausgezeichnete Charakterstudie, die
zudem auch inhaltlich mit einem klugen Plot und niveauvoller
Schilderung überzeugt.
4,5 Sterne
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Erschienen ist der Roman im Penguin Verlag, dem ich für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares danke.