Spät hat Ulf Schiewe seine Leidenschaft für das Schreiben
entdeckt, und trotzdem gehört er zu den Autoren, an die wir denken, wenn wir von
historischen Romane sprechen. Es stimmt mich sehr traurig, dass die
Schaffensphase so plötzlich durch seinen Tod im März diesen Jahres beendet
wurde, und darum freue ich mich, dass ich das letzte veröffentlichte Werk
bewerten darf. „Der eiserne Herzog“ steht auf der Shortlist für den
Literaturpreis HOMER 2023 und hat gute Chancen, geehrt zu werden.
Dabei ist die von Ulf Schiewe gewählte Thematik auf den
ersten Blick gewagt, sind doch die Quellen über die von ihm geschilderten
Ereignisse um Wilhelm, den Herzog der Normandie, der als Wilhelm der Eroberer
in die Geschichte eingegangen ist, und seinen Kontrahenten Harold Godwinson nicht
allein wegen der Ausführungen auf dem berühmten Teppich von Bayeux recht
umfangreich und auch wahrheitsgemäß. Wie gelingt es insofern, nicht nur an Hand
von historisch korrekten Ereignisse, Fakten und Daten sowie den integrierten
Personen den Ablauf des Geschehens darzustellen, sondern auch eine fesselnde
Geschichte zu entwerfen, in der die Motivation und die Gefühlswelt der
Vergangenheit glaubhaft zum Leser ins Heute transportiert werden?
Das Leben des jungen normannischen Herzogs Guilhelm ist
geprägt von Kämpfen. Selbst die Frau, die er begehrt und der er in Liebe
verbunden sein wird, bedarf einiger Bemühungen. Letztlich wird Matilda von Flandern die Seine und steht treu zu ihm. Auch die Normandie scheint – von einigen
Scharmützeln abgesehen – gesichert. An Englaland verschwendet Guilhelm keinen
Gedanken, bis der kinderlose König Eadweard ihn zu seinem Nachfolger bestimmt.
Ein Affront für die Sachsen. Niemand will einen Normannen auf dem Thron. Vor
allem nicht die Familie Godwinson, die im Grunde die Macht im Land in Händen hält.
Obwohl Harold Godwinson – zugegeben mit ein wenig Druck
von Guilhelm – schwört, den normannischen Herzog zu unterstützen, wird er nach
dem Tod des Königs eidbrüchig und zum König gekrönt. Damit kann sich Guilhelm
nicht abfinden.
In der Schlacht bei Hastings entscheidet sich 1066 nicht
nur ihrer beider Schicksal ...
„Der eiserne Herzog“ ist unzweifelhaft ein echter Schiewe,
deutlich erkennbar an seinem enthusiastischen und packenden Schreibstil. Hier
ist alles auf den Punkt gebracht und ohne überflüssige Floskeln. Nicht nur die
Verwendung der gegenwärtigen Zeitform zieht uns als Leser von Anbeginn an ins Geschehen. Es sind ebenso die prägnanten
und illustrativen Szenen, die zwischen der Normandie und Englaland wechseln und uns andauernd bannen und die damaligen Ereignisse mit enormer Atmosphäre auf
uns wirken lassen. Außerdem wird die Handlung dicht und ohne Längen, voll innerer
Kraft erzählt und entbehrt trotz bekannten Verlaufs der Historie nicht der spannungsgeladenen
Dramatik in der Entwicklung bis hin zum wuchtigen Schlachtengemälde, das der
Autor in höchster Kunst gezeichnet hat.
Ulf Schiewe beweist in seinem Werk erneut seine Fertigkeit
bei der akribischen und sorgfältigen Recherche und der folgenden Auswertung der
Fakten sowie Interpretation mit der eigenen Fantasie, wo es an einer solchen
fehlt. Lobenswert ist überdies, dass sich der Autor nicht in maßlosen
Beschreibungen der Örtlichkeiten verfängt, gleichwohl sind diese so
geschildert, dass sie aich beim Lesen komplett erschließen.
Obwohl die Protagonisten im Grunde bekannt sind, erstaunt zum
einen die Tiefe, mit der sich Ulf Schiewe ihnen allen gewidmet hat. Mit
bemerkenswerter Sicherheit nähert er sich seiner titelgebenden Hauptfigur und stellt
sie in den Fokus, ohne dabei die weiteren Persönlichkeiten, die tragende Rollen
einnehmen, zu vernachlässigen. Daneben sind die fiktiven Figuren zurückhaltend eingesetzt und agieren ausgezeichnet im Verbund mit ihren
historischen Gefährten.
Gefallen hat mir, in welcher Art und Weise Ulf Schiewe die
Kontrahenten präsentiert. Sowohl Guilhelm als auch Harold offenbaren sich
komplexe Persönlichkeiten, die sich in ihren Ansichten und ihrem Bestreben gar
nicht so sehr unterscheiden. Sie sind willensstark und konsequent, aber
beileibe nicht frei von Widersprüchen.
„… Du bist immer so selbstsicher, wirkst so unzerstörbar …
Nichts scheint dich umzuwerfen. Kein Wunder, dass man dich den ‚Eisernen Herzog‘
nennt.“, sagt Matilda zur ihrem Ehemann und trifft damit den Nagel auf den
Kopf. Indes ist auch sie eine Frau mit Charakterstärken, die Guilhelm an ihr
schätzt.
Überhaupt nehmen die Frauen beider Männer einen hohen
Stellenwert ein. Sowohl Matilda als auch Ealdgyth sind wichtige Stützen ihrer
Partner, und die feine Sensibilität des Autors in der Veranschaulichung - auch von emotionalen
Momenten - ist grandios und wirkungsstark.
Alles in allem ist „Der eiserne Herzog“ ein fulminanter historischer
Roman, mit dem Ulf Schiewe sich (ungewollt) ein kleines Denkmal gesetzt hat.
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Erschienen ist der Roman bei Lübbe Belletristik. Ich danke dem Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares.