"Stramm und wie frisch gewaschen spannte sich der Himmel über die
Insel; nur in der Ferne waren ein paar weiße Wolken zu sehen, schaumig wie
aufgeschlagene Sahne."
Meeresbuch nennt Nicole C. Vosseler ihren Roman "Zeit der wilden
Orchideen" und führt den Leser in das Singapur des 19. Jahrhunderts. Vor der
Kulisse des Südchinesischen Meeres am Rande des Pazifischen Ozeans erzählt die
Autorin eine Geschichte von Liebe und Verlust...
1819 gründet Sir Thomas Stamford Raffles, seines Zeichens Handelsagent der Britischen
Ostindien-Kompanie in Singapur die erste britische Niederlassung und weckt
damit das sumpfige Dschungelland aus dem Dornröschenschlaf, in dem es
jahrzehntelang gelegen hat. Denn zuvor lebten auf der Insel lediglich zwanzig
malaiischen Fischerfamilien und ab und an ein paar Seeräuber. Bis 1824
vereinnahmt die Kompanie die gesamte Insel, nachdem sie dem Sultan von
Johor abgekauft hat. Singapur dient als Handelsstützpunkt und entwickelt
sich zu einem wichtigen Warenumschlagplatz. Da es zunächst kein kultiviertes
Hinterland gibt, das Produkte und Lebensmittel liefern kann und zudem der
Boden, die Topografie und Verteilung des Regenfalls für den Reisanbau ungünstig
sind, eine Siedlung also andere Feldfrüchte anbauen oder das
Meer als Nahrungsquelle nutzen müsste, wird die schwierige
Ausgangssituation der Insel entschärft, indem viele Lebensmittel importiert werden. Sir Raffles
führt stadtplanerische Maßnahmen durch, um einen optimalen Erfolg der Siedlung
zu gewährleisten. Und 1867 wird Singapur zur
britischen Kronkolonie. Bald wächst die Bedeutung von Singapur als
Umschlaghafen wegen seiner geographischen Lage entlang der verkehrsträchtigen
Schifffahrtswege zwischen China
und Europa, nachdem 1869 der Suezkanal gebaut wird, der schnellere Überfahrten
nach Europa ermöglicht. Dadurch steigen das Handelsvolumen und die Zahl der
Einwohner beständig an.
Hier lebt Georgina mit ihrem Vater in einem Haus direkt am Meer. Das kleine Mädchen ist seit dem Tod der Mutter sich selbst überlassen, der Vater, ein Kaufmann, verhält sich ihr gegenüber aus unerklärlichen Gründen gleichgültig. Georgina ist sensibel und hat sich eine eigene Traumwelt geschaffen, die anderen verschlossen bleibt. Erst in dem Jungen Raharjo, einem Angehörigen der Orang Laut, der verletzt Zuflucht in ihrem Pavillon sucht, findet das kleine Mädchen einen Menschen, der sie zu verstehen scheint. An seiner Seite wird sie zu Nilam und Jahre später zur Frau...
Allerdings ist Raharjo ein Meeresmensch und wird vom Meer angezogen. Immer
wieder hört er den Ruf und lässt Georgina für Wochen und Monate allein. Als
sie feststellt, dass sie ein Kind erwartet, fühlt sie sich völlig hilflos. So nimmt sie das Angebot von Paul,
einem Angestellten ihres Vaters, an und heiratet ihn. Am Tag der Hochzeit kehrt
Raharjo zurück. Als er erkennt, dass er Nilam verloren hat, schwört er Rache...
Nicole C. Vosseler erzählt eine
bewegende Geschichte vor exotischer Kulisse, die mit exakt recherchiertem
Hintergrund aufwartet. Die Autorin versteht ihr Handwerk und fügt gekonnt den
historischen Kontext ein, ohne den Leser zu strapazieren.
Überdies zeigt die Autorin, was sie aus der wunderbaren Sprache Deutsch
komponieren kann. Denn oft liest sich der Text wie Musik.
"Eine Ahnung von Wasser lag in der Luft, wusch sie klar, füllte sie
mit einem Wellenklang, der nicht zu hören, nur zu spüren war, ein Flüstern auf
der Haut."
Ihre Schreibkunst ist von einer Üppigkeit und Sinnlichkeit, die
insbesondere hinsichtlich der poetischen und Naturbeschreibungen hervorzuheben
ist. Diese sind in ihrer bemerkenswerten Art und Weise geeignet, atmosphärische Stimmungen wiederzugeben und ein berauschendes
Bild einer fremden Welt zu zeichnen.
"Die ersten Wolkenbänke fingen Feuer, und unter der Glut, die von
ihren Säumen hinabtroff, färbte sich das Meer rot... Die über Nacht frisch
gewaschenen Wolken... waren inzwischen verrußt. Schwerfällig drückten sie sich
gegen die Insel, und der vorhin noch lichtblaue Himmel schwitzte
milchiggrau."
"Wolkenschlieren maserten einen Himmel aus duftiger puderblauer
Seide. Behäbig schmiegten sich ihre üppigen Schwestern an die Hügel, die sich
wie weiche Moospolster an der Küste ausbreiteten."
"Das Indigo der
Nacht blutete zu einem fahlen Blau aus, verlor weiter an Kraft und wich
schließlich dem zarten Gold, das das Aufgehen der Sonne verkündet."
Der
bildschönen Lyrik der Geschichte ist das Cover ausgezeichnet angepasst.
Doch der Autorin gelingt es daneben auch, die Schattenseiten im Paradies
aufzuzeigen.
Die wachsende Wirtschaft in der Inselstadt benötigt Arbeitskräfte,
zumeist sind es männliche Junggesellen, die einreisen, wodurch sich ein Ungleichgewicht von Männern
und Frauen entwickelt. Wegen des geringen Frauenanteils in Singapur entstehen viele Bordelle. Prostitution ist ein
florierendes Geschäft mit einem verzweigten Netzwerk nach China und Japan.
Besonders bei den Chinesinnen handelt es sich in der Regel um gekaufte Frauen, die ohne Familie oder Freunde in
Zeiten der Not ohne Hilfe ihr Dasein fristen müssen und kaum Geld für ihre oft erzwungenen Dienste
erhalten.
Durch die
facettenreiche Darstellung der historischen Örtlichkeiten und Gegebenheiten
bekommt das Geschehen eine Tiefe, die sich ebenfalls in der Ausarbeitung der
Protagonisten widerspiegelt. Denn die Autorin hat Figuren mit
außergewöhnlicher Präsens geschaffen. Sie sind voller Leben und empfinden neben
Liebe, Zuneigung und Glück, Begehren, Mitleid, Bedauern auch Schmerz, Hass,
Stolz, Rache, Wut, Schuld, Reue, Trauer... Ihre Gestaltung ist im höchsten
Maße überzeugend.
Im
Mittelpunkt steht vor allem Georgina. Sie ist
wie ein Diamant, hart und unbeugsam und so scharfkantig, dass man sich
daran bis auf die Knochen hinunter blutig ritzen kann. Frauen wie sie sind
selten, und sie sind kostbar. Man ist ein reicher Mann, wenn man das Glück
einer solchen Frau erleben darf. Da lohnt es sich, Geduld zu haben. Zu kämpfen.
Und doch ist dies nicht leicht, wie Paul erfahren muss. Denn irgendetwas im
Wesen von Georgina trübt ihre Sicht auf das Naheliegende, Greifbare. Oftmals ist
sie blind für die Wirklichkeit, lebt in einer Traumwelt, wie sie sie als Kind
gesehen hat.
Paul dagegen ist ein stiller Held. Einer, der zur Stelle ist, als er
gebraucht wird und die Chance ergreift, die Frau, die er begehrt, zu heiraten.
Einer, der nicht frei von Fehlern durchaus auch die eine oder andere
falsche Entscheidungen trifft. Einer, der sich in seiner weitherzigen Art aufrichtig, beständig und beharrlich um die Liebe
von Georgina bemüht.
Im Gegensatz dazu ist Raharjo zwiegespalten. Bereits bei der ersten
Begegnung knüpfen er und Nilam ein inneres Band, das lange, vielleicht sogar
das ganze Leben halten wird. Ein Band, das nicht immer von Liebe geprägt ist.
Denn obwohl die beiden sich behutsam einander nähern, ihre Gefühle füreinander
vertiefen und dann sehr vertraut miteinander umgehen und ihre Wesen zu
ergründen versuchen, ändert sich alles, als Raharjo Nilam verloren glaubt. Es
kommt für eine lange Zeit Raharjos dunkle Seite zum Vorschein, die hart und ungerecht ist und
hassen und verletzen und positive Gefühle nicht mehr zulassen will. Diese
Wandlung ist nachvollziehbar geschildert.
Mit beeindruckender Sicherheit ist der Autorin
außerdem die Charakterisierung sämtlicher Nebenfiguren gelungen. Sie alle
beleben den Roman in einer Weise, die die Geschichte zu einem einzigartigen Leseerlebnis macht.
Danke für die schöne Buch-Vorstellung!
AntwortenLöschenLiebe Grüße,
Markus