Wir nähern uns in riesigen Schritten der Preisverleihung für den HOMER 2022. Die Autorin Juliane Stadler, deren Debütroman ich hier vorstellen durfte, hat mir ein paar Fragen beantwortet:
Was
meinst du macht die Faszination des Mittelalters für LeserInnen aus?
Das Mittelalter ist eine Epoche, die einerseits weit weg
ist, aber gleichzeitig noch sehr stark in unsere Zeit hineinreicht, sei es in
Form von historischen Zeugnissen, Bauwerken bzw. Ruinen oder auch Ereignissen,
die bis heute Auswirkungen auf unsere Gesellschaft haben (Grenzziehungen,
Sprache, Adelsgeschlechter …). Das schafft eine Verbindung, die sicher bei
vielen Neugier hervorruft. Dazu kommt, dass wir durch Urkunden und Chroniken
sehr gute Einblicke in die Geschehnisse dieser Zeit haben und es möglich ist,
einzigartige Schicksale und Persönlichkeiten zu rekonstruieren und
nachzuverfolgen. Womöglich befeuert auch eine romantische, etwas verklärte Vorstellung
von der Zeit der Ritter, Burgen und Kathedralen die Faszination.
Warum
hast du dich dafür entschieden, die Geschichte im Dritten Kreuzzug spielen zu
lassen? Was ist das Besondere dieses Kreuzzuges?
Die dramatische
Zeit der Kreuzzüge eignet sich hervorragend, um viele auch heute noch wichtige
gesellschaftliche Themen im Zusammenhang mit Religion, Politik, Krieg oder Kulturaustausch
in Romanform zu verhandeln und aktuelle Bezüge herzustellen.
Dazu
kommt, dass besonders der sog. Dritte Kreuzzug sehr gut dokumentiert ist, also
sehr viel historisch belegtes Material bereithält und allein schon durch die
Beteiligung großer Kriegerfürsten wie Barbarossa, Löwenherz oder Saladin eine
faszinierende und farbenprächtige Kulisse bildet.
Über
welchen Zeitraum hin hast du recherchiert, und wie lange dauerte die
eigentliche Schreibzeit?
Die
Zeit der Recherche lässt sich gar nicht so genau bemessen, da mich der ganze
Themenkomplex schon immer interessierte und ich mich lange vor dem Roman intensiv
damit beschäftigt habe. Ich konnte also schon auf ein solides Wissensfundament
aufbauen, als ich mit dem Schreiben anfing. Vor allem zu Spezialthemen wie
Medizin oder Kriegstechnik oder den Biographien der historischen Persönlichkeiten
habe ich dann allerdings noch einmal genauer nachgeforscht. Die Recherche vor
Ort z.B. entlang der Kreuzzugsroute Barbarossas konnte ich zum Teil mit meinem
eigentlichen Beruf als Archäologin und den Reisen zu Ausgrabungsstätten im
Vorderen Orient verbinden. Und so hat sich dann nach und nach ein sehr
konkretes Bild von den Ereignissen ergeben, das mir als Arbeitsgrundlage
diente.
Bis ich
ein Ende unter das Manuskript setzen konnte, hat es ziemlich genau fünf Jahre
gedauert, was aber auch damit zusammenhängt, dass ich neben meinem Brotberuf
und der Betreuung meiner Kinder immer nur wenig Schreibzeit freischaufeln
konnte.
Der
Kampfverlauf ist wahrscheinlich dokumentiert, aber wo hast du Material gefunden
für das Leben in einem Heer dieser Zeit?
Auch dazu finden sich in den
historischen Quellen, den christlichen und islamischen Chroniken über die
Kreuzzüge, tatsächlich viele Details. Man erfährt dort u.a. von Hunger und
Seuchen, von der Organisation eines Militärlagers oder den Strapazen auf dem Marsch
und von (freundschaftlichen) Begegnungen zwischen den Kriegsparteien.
Archäologische und anthropologische Funde ergänzen das Bild.
Gab es Probleme bei der Einbindung der historischen
Persönlichkeiten? Wenn ja, welche?
Die
historische Handlung bildet ja den festen Rahmen der Geschichte, es ging also
mehr darum die fiktiven Figuren glaubwürdig einzufügen. Und wie bereits
erwähnt, ist der Dritte Kreuzzug hervorragend aus unterschiedlichen
Perspektiven dokumentiert, sodass man ziemlich genau weiß, wer was wann getan
hat. Die Ausarbeitung der historisch belegten Charaktere, sie authentisch, plausibel
und menschlich auftreten zu lassen, war dann natürlich meine Aufgabe, aber auch
hier dienten die Informationen aus den Originalquellen als Richtschnur.
Stell
dir vor, du hast die Möglichkeit, Richard Löwenherz und Philipp von Frankreich
jeweils eine Frage zu stellen. Welche wären das?
Ich
hätte eine Frage an beide: Was war wirklich der Auslöser, warum ihr euch
dermaßen verkracht habt und aus Verbündeten so erbitterte Feinde wurden?
Haben
sich im Verlaufe des Geschehens Figuren anders entwickelt als du es am Anfang
geplant hast?
Natürlich
hat man zu Beginn des Projekts schon eine konkrete Vorstellung von seinen
Protagonist*innen, aber ich glaube, es ist nicht ungewöhnlich, dass man sie
erst während des Schreibprozesses so richtig kennenlernt, in der Interaktion
mit anderen Figuren, in der Konfrontation mit bestimmten Situationen usw. Da
kann sich dann schon noch die ein oder andere Veränderung ergeben, aber meist
betrifft das dann keine grundlegenden Aspekte mehr. Mir ist es allerdings schon
passiert, dass Personen, die als unbedeutende Nebenfiguren geplant waren, sich
verselbständigen, mir ans Herz wachsen und plötzlich viel mehr Raum einnehmen.
Gallus in „Krone des Himmels“ ist so ein Fall.
Wer
gehört du deinen Lieblingsfiguren und warum?
Von den
fiktiven Figuren ist der Wundarzt Caspar mein Liebling. Seine Ehrlichkeit bis
hin zum Zynismus, seine brummige Herzlichkeit und seine klare Sicht der Dinge
mag ich sehr.
Viel
Sympathie empfinde ich auch für die historische Figur des Statthalters
Karakush, der auf verlorenem Posten kämpft, loyal und treu handelt und hart
durchgreift, aber gleichzeitig auch sehr nahbar und menschlich ist.
Worauf
können wir uns nach deinem Debüt als historische Romanautorin als Nächstes
freuen?
Ich arbeite an einem weiteren
historischen Roman, der ebenfalls im 12. Jahrhundert spielt, ein paar Jahre vor
dem Dritten Kreuzzug. Es geht um einen König ohne Königreich, das
Haifischbecken des anglo-normannischen Hofes, Turniere, Troubadoure und
Intrigen sowie einen blutigen Bruderkrieg.
Wer
oder was kann dir einen anstrengenden Recherche- oder Schreibtag
"versüßen"?
Definitiv
Nougatschokolade, entspannte Zeit mit meiner Familie oder (schreibenden)
Freund*innen, ein Spaziergang im Grünen und später, wenn das Buch erschienen
ist, positives Feedback der Lesenden.
Liebe Juliane, ich danke herzlich für die Zeit, die du dir für die Beantwortung meiner Fragen genommen hast.
Juliane Stadler gewährt euch einen Einblick in ihr Buch und liest hier aus ihrem historischen Roman.
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