Es
ist der 9. November 1918. Der deutsche Kaiser hat gerade abgedankt.
Zwei Tage später wird der erste Weltkrieg enden, 17 Millionen
Menschen sind tot. In dieser Situation begegnen wir den Schwestern
Felice und Ille, die unterschiedlicher nicht sein können, und wir
erfahren, dass deren Bruder Willi das standrechtliche Erschießen
droht, weil er einen Befehl verweigert hat.
Damit
wir ergründen können, was mit den Geschwistern in den letzten
Jahren geschehen ist, führt uns die Autorin zurück in die
Vergangenheit, beginnend im Jahr 1912...
Michaela
Saalfeld erzählt mit „Was wir zu hoffen wagten“ eine
einzigartige Geschichte und meistert ihr Debüt sprachlich in
herausragender Art und Weise. Ich habe sofort den Schreibstil sehr
genossen. Er ist einerseits gefällig und liest sich gut, verfügt
jedoch andererseits über einen Grad an Anspruch, der sich im Text
durch das ohne Aufdringlichkeit angereicherte fundierte historische
Hintergrundwissen äußert, wenn die Autorin die Situation der
Frauen, technische Errungenschaften, geschichtliche Ereignisse und
die Geschehnisse des ersten Weltkrieges thematisiert. Sie schildert
vor allem die Kriegssituation in Belgien, insbesondere in Ypern
(Ieper) offensiv und unumwunden mit all den Gräuel und
Schreckenstaten und bereitet sie dabei für uns Leser so auf, dass
wir betroffen sind, bei uns ein wirksamer Nachhall erzeugt wird und
Emotionen freigesetzt werden.
Zudem
ist nicht nur die Szenerie komplett gelungen, auch die
Charaktere sind allesamt mit Sorgfalt entworfen. Michaela Saalfelds Figuren ziehen einen unweigerlich an. Es
sind nämlich keine heroischen, sondern allzu menschliche Wesen mit
Stärken, aber auch sehr vielen Schwächen. Manchmal – wie bei Ille
– fallen diese vornehmlich ins Gewicht. Denn auf den ersten Blick
erscheint die jüngste der drei Geschwister als schwach und
verträumt. Sie wünscht sich ein „normales“ sorgenfreies Leben
mit Ehemann und Kindern und strebt nicht nach Höherem, einen Beruf
oder gar Unabhängigkeit. Indes sehnt sie sich nach der Liebe und
Anerkennung ihrer von ihr verehrten Schwester.
Felice
hingegen macht es uns nicht leicht. Sie ist kein Typ, für den
das Herz auf Anhieb schlägt. Einerseits ist sie unwahrscheinlich
klug und sehr fokussiert. Andererseits zeigt sie sich streitbar, äußert,
was ihr auf der Seele und auf der Zunge brennt, absolut und
erbarmungslos. Gleichzeitig wirkt sie wegen ihrer geringen Empathie kalt und unnahbar. All ihre Fähigkeiten mögen sie zur Ausübung
ihres Berufes prädestinieren. Doch obwohl Felice ihr
Jurastudium erfolgreich abgeschlossen hat, wird ihr als Frau der
notwendige Vorbereitungsdienst und damit die Tätigkeit als Juristin
verwehrt. Eine verständliche und empörende Ungerechtigkeit, mit der
sich Felice nicht abfinden will. Sie lässt sich nicht verbiegen, und
das Wichtigste für sie ist, sie selbst zu sein. So nimmt sie keine
Rücksicht auf andere und stößt damit nicht nur ihre Familie vor
den Kopf. Im Gegenzug ist sie allein, und sie hat nicht viele
wirkliche Freunde, zu denen der in sie verliebte Moritz und Quintus, für den Felice mehr empfindet, gehören.
Willi
hingegen stehen alle Möglichkeiten offen. Der junge Mann – zu
Beginn noch recht oberflächlich – interessiert sich allerdings weder für die
Schule noch für die Bank, deren Leitung er eines Tages übernehmen
soll, vielmehr schlägt sein Herz für den Film und für Recha, eine
Schauspielerin. Als diese klarstellt, dass sie nicht frei ist und sich an den um einige Jahre älteren Regisseur Wolfgang Fanselow gebunden fühlt,
meldet sich Willi freiwillig und gerät mitten hinein in die
kriegerischen Auseinandersetzungen, die nicht nur ihm alles
abverlangen werden und sein Schicksal verändern.
Ohne die Entwicklung der Frauengestalten des Romans negieren zu wollen, sind es besonders die Männer wie Willi, Quintus und Moritz, die außerordentliches Reifepotential beweisen und der im Leben angekommene, sich durch Charakterfestigkeit auszeichnende Wolfgang, die zu einem beachtenswerten Leseerlebnis beitragen.
Ohne die Entwicklung der Frauengestalten des Romans negieren zu wollen, sind es besonders die Männer wie Willi, Quintus und Moritz, die außerordentliches Reifepotential beweisen und der im Leben angekommene, sich durch Charakterfestigkeit auszeichnende Wolfgang, die zu einem beachtenswerten Leseerlebnis beitragen.
Liebe Anke,
AntwortenLöschenherzlichen Dank und sonnige Grüße
Elisabeth