Erster Akt
„Böses
zu sagen führt nur dazu, dass umso mehr Bosheit entsteht, und davon
gibt es schon genug auf der Welt.“ (Seite 437)
Ein
Unfall könnte der Stadt Chicago die lang ersehnte Erlösung bringen.
Fünf Jahre lang hat ein Serienkiller hier sein Unwesen getrieben, sich
jemanden gesucht, der seiner Meinung nach irgendetwas Böses tat, und
einen nahe stehenden Menschen gekidnappt. Sieben Mal hat er seinen Opfern,
allesamt junge Mädchen, zunächst ein Ohr abgeschnitten, dann die
Augen ausgestochen, als Drittes die Zunge entfernt, bevor er sie
letztlich tötete. Getreu dem Motto: „Nichts hören, nichts sehen,
nichts sagen“ und ergänzend „nichts Böses tun“. Makaber
daran war, dass die Angehörigen die Körperteile in weißen Päckchen
mit schwarzem Paketband verschnürt zugesandt erhielten.
Der
Fourth-Monkey-Killer erlebte seine „Geburtsstunde".
Insgesamt
21 Päckchen haben ihr Ziel erreicht, und Detective Sam Porter ist
derjenige gewesen, der, als er das allererste in der Hand hielt,
schon damals ahnte, das weitere folgen würden. Dass er es nämlich
mit einem gestörten Serienmörder zu tun hatte, gegen den er –
obwohl er von Anfang an am Ball blieb – keinen Erfolg haben würde. In
einem Spiel, in dem der Täter nicht die geringsten Spuren
hinterlässt, konnte er nicht gewinnen.
Nun
scheint der Fourth-Monkey-Killer auf dem Weg, ein neues Päckchen zu
überbringen von einem Bus erfasst und getötet worden zu sein. Hat
das Schreckliche, das Böse nun ein Ende gefunden?
Allerdings bedeutet eine neue Sendung, und diese enthält tatsächlich ein abgeschnittenes Ohr, wieder ein Opfer. Kann Sam Porter mit Hilfe
des in der Jackentasche des Verunglückten entdeckten persönlichen
Tagebuchs das letzte entführte Mädchen retten? Denn dieses Tagebuch offenbart zwar die Geschichte und die Gedanken des Killers,
beinhaltet indes nur wenige Hinweise auf seine Identität.
Während
Porter auch gegen die eigenen Rachedämonen nach dem gewaltsamen Tod
seiner Frau Heather kämpft, verrinnt die Zeit, und der
Fourth-Monkey-Killer lacht sich noch aus dem Grabe heraus ins
Fäustchen...
J.
D. Barker startet „The Fourth Monkey. Geboren, um zu töten“ mit
einem originellen Kabinettstück: Der Tod des vermeintlichen
Fourth-Monkey-Killers betrügt dich um die übliche Jagd durch die
Polizei. Doch sei dir sicher, deinen mitreißenden Nervenkitzel wirst
du trotzdem bekommen, da mit diesem Unfall das ernsthafte
und mit Geschick veranlasste Psychospiel Serienmörder gegen Cop erst
beginnt und die Präsenz des „Geistes“ dieses Killers dich
beeindrucken wird.
Wirst
du wie Sam Porter in den Bann des 4FM-Killers geraten, wenn du in
dessen Vergangenheit und seine Gedanken eintauchst, in dem du das
Tagebuch liest, und miterlebst, wie jemand seine Kindheit verbringt
und auf welche Art die Ursachen gesetzt werden, die bei diesem die
bösen Seiten zu Tage treten lassen, jene von äußerst packender, gnadenloser und furchterregender Natur? Vielleicht wirken die
Abgründe, in die du gestoßen wirst, auf dich wie fernab jeder möglichen
Realität, sind gerade aus diesem Grund besonders beklemmend.
Möglicherweise siehst du Ratten – wenn du sie je mochtest und
nicht schon immer eine Abneigung gegen sie hattest – nach der
Lektüre mit anderen Augen.
J.
D. Barker spart nicht mit einer dunklen Atmosphäre und abstrusen,
blutigen Momenten. Er ruft Beunruhigung und Entsetzen hervor und spielt
mit den Empfindungen, wenn er die verwirrende Inszenierung seines
krankhaften, erfindungsreichen, zugleich auch klugen Mörderhirns
präsentiert. Es ist ein Mann, der von seinem Vater gelernt hat, wie
wichtig es ist, in jeder Situation den jeweiligen Umständen
entsprechend die richtigen Gefühle zur Schau zu stellen, unabhängig
vom inneren Empfinden.
Dagegen
kann sein Gegenspieler, der zweiundfünfzigjährige Detective Sam
Porter, seine Emotionen nicht verstecken. Porter ist ein
pflichtbewusster Polizist und ein fantastischer Ermittler. Allerdings hat er Schwierigkeiten, mit der Wut und dem Hass, den er auf den jungen
Mann verspürt, der seine geliebte Frau getötet hat, umzugehen. Das
belastet ihn und legt Schmutz auf seine Seele. Halt gibt im die
Stimme seiner Frau auf der Mailbox ihres Mobiltelefons.
Dem
Autor
gelingt es in
beeindruckender Weise und nahezu
mühelos, die Charaktere auszuloten. Während
sich das Bild des Fourth-Monkey-Killers in den Tagebucheinträgen
manifestiert,
bieten
neben der
unzweifelhaft
im Mittelpunkt stehenden Figur des Sam Porters auch seine Partner und
Mitarbeiter Clair Norton, Brian Nash und Edwin „Kloz“ Klozowski
erhebliches Potential. Sie
sind eine
gelungene
Ergänzung
des Ermittlerteams und erhöhen
die Wirkung
innerhalb des Geschehens, in
dem J. D. Barker im Wettlauf gegen die Zeit einige überraschende
Wendungen offeriert.
4,5 Sterne
4,5 Sterne
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Zweiter Akt
Eines muss dir von Anfang an klar sein: „ The Fourth Monkey. Das Mädchen im Eis“ solltest du nicht lesen, wenn du „The Fourth Monkey. Geboren, um zu töten“ nicht kennst. Du könntest es natürlich trotzdem tun, aber dann entginge dir die besondere „Beziehung“ zwischen dem sogenannten 4FM-Killer Anson Bishop und seinem Jäger Sam Porter, und einzelne Zusammenhänge würden sich dir ebenfalls nicht erschließen. Allerdings sei auch bereits am Anfang gesagt: Dieses Buch folgt in der Gestaltung seines Endes seinem Vorgänger und lässt dich erneut bei einigen offenen Fragen unaufgeklärt zurück.
Bis
dahin befindest du dich in einem Rausch der Geschwindigkeit,
der sich langsam, wiederum stetig steigert, und du bewegst dich immer in
Richtung des nächsten Ziels, das allein J. D. Barker vorgibt, in dem
er alte Fäden aufgreift und auflöst, parallel dazu jedoch neue
spinnt und die vorhandenen Bildgefüge ordentlich mit Knoten
versetzt. So bist du bestrebt, den Roman ohne Absetzen zu lesen, um an Hinweise und zu Ergebnissen zu gelangen, glücklich über jedes
Puzzleteil, das der Autor dir zuwirft.
Ist
ein neuer oder bekannter Serienkiller in Chicago unterwegs? Es gibt
ein totes Mädchen und eines, das verschwindet. Das eine ist Ella
Reynolds, das Mädchen, das im Eis gefunden wird und die Kleidung des
zweiten trägt. Sie bleibt nicht die einzige Leiche. Das andere
Mädchen ist Lili Davies. Ihr begegnest du in einem Kellerkäfig
wieder, und auch sie wird nicht die einzige sein. Und dann ist da noch
der komische, lispelnde Typ mit der großen Narbe auf dem Kopf, die
er unter einer Wollmütze versteckt
Die
Meinungen widersprechen sich: Vor allem Detective Sam Porter, von den
Ereignissen vor vier Monaten in Mitleidenschaft gezogen, glaubt nicht
an eine Täterschaft des 4FM-Killers Anson Bishop, da er mehr als jeder
andere tief in dessen Seele blicken konnte. Als er – unter anderem
auch mit der Begründung, er habe den Serientäter laufen gelassen – vom
Dienst suspendiert wird, übernimmt das FBI den Fall und seine
Partner Clair Norton und Brian Nash müssen mit diesem
zusammenarbeiten.
Während FBI-Agent Poole seinen eigenen Weg wählt, wirft Porter noch nicht hin und folgt trotz seiner Schlafstörungen und Albträume seinem Instinkt. In seiner Besessenheit weiß er, dass er Bishop nur über dessen Mutter aufspüren kann. Als er einem Hinweis auf einem Foto folgt und nach New Orleans reist, hat er nicht nur eine prägende Begegnung im dortigen Gefängnis und kommt seinem Ziel immer näher.
Damit ist das Katz-und-Maus-Spiel indes längst nicht beendet. Und auch die Mordserie reißt nicht ab...
Es
ist vor allem die Fähigkeit von J. D. Barker, einen komplexen und
reichhaltigen Raum mit Drehungen und Wendungen zu erschaffen, in die
Tiefe gehenden Zusammenhänge zu konstruieren und darzustellen. Dabei
ist es von besonderem Reiz, in die atemberaubende
und verstörende Gedankenwelt eines
Serienkillers einzutauchen. Denn auch in „Das Mädchen im Eis“
greift der Autor auf Tagebucheintragungen zurück, legt also
Vergangenheit und Gegenwart nebeneinander. Daneben spielen die
visuellen Beschreibungen zwar eine weniger tragende Rolle, sind aber
in ihrer Ausdruckskraft gleichwohl filmreif schockierend, intensiv
und mit Gefühlen aus Erschrecken, Abscheu und Hilflosigkeit
versehen.
Herausragend zeigen sich die von Barker nuanciert ausgearbeiteten Figuren, nicht allein in ihrer meisterhaften Gestaltung, sondern auch ihrer phänomenalen Entwicklung.
„Man kann nicht Gott spielen, ohne mit dem Teufel zu paktieren.“ (Seite 331)
Sam Porter ist ein nachdenklicher, außerordentlich empathischer Mann und noch immer vom Tod seiner Ehefrau Heather traumatisiert. Ihn tangiert das Verhalten von Anson Bishop dermaßen, dass es bereits einer emotionalen Verwicklung nahe kommt. Es wird damit augenfällig, was es bedeuten kann, Verbrecher zu jagen, dass die dafür aufgewandte Arbeit, Zeit und Energie, nicht spurlos an einem vorbeigehen.
Anson Bishop hat etwas von Hannibal Lecter, seine gefährliche Intelligenz und seine Tücke sind von einer gewissen abstoßenden Faszination, seine Taten beängstigend kalt und gleichzeitig voller Leidenschaft. Du möchtest einfach wissen, warum er tut, was er tut. Wird ein Mensch als Mörder geboren, oder wird er von Menschen zu einem gemacht? Es scheint jedenfalls so, dass Anson Bishops Mutter hier keine unwesentliche Rolle spielt...
5 Sterne
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Erschienen ist der Roman im Blanvalet Verlag, dem ich für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares danke.
Liebe Anke,
AntwortenLöschenherzlichen Dank für deine Rezension und frohe Grüße
Elisabeth