Manche
Bücher machen es mir schwerer als andere. Diese
Bücher beginne ich, lege sie eine Weile beiseite, fange dann erneut
an und lese sie in einem Rutsch durch. Zu diesen “schwierigen”
Werken gehört Adam
Silveras „Was mir von dir bleibt“. Und dabei kann nicht nicht
einmal genau erklären, warum das so ist. Aber
ich will es zumindest versuchen.
Zunächst
einmal liegt es an der Thematik. Adam Silvera schreibt über die
gleichgeschlechtliche Liebe und spielt von Anfang an mit
offenen Karten:
Theo
McIntyre ist tot, er wird nie mehr zurückkehren. Zurückbleiben
nicht nur seine Eltern und seine kleine Schwester, sondern auch
Griffin, der mit ihm seinen Lieblingsmenschen und die erste große
Liebe verliert, und Jackson, sein aktueller Freund. Denn Griffin hat sich von
Theo getrennt, als dieser wegen seines Studiums nach Kalifornien
gezogen ist. Und die Hoffnung, die Beziehung irgendwann fortsetzen zu
können, zerschlägt sich, als Theo Jackson kennenlernt und sich im
Grunde entliebt. Obwohl sie dadurch unweigerlich zu Konkurrenten
geworden sind, stehen nun sowohl Griffin als auch Jackson vor einem gemeinsamen Verlust und
ahnen nicht, dass sie einander retten werden.
„Du
hast uns allein gelassen. Dein Tod hat uns zu zwei Teilen in diesem
zusammengestümperten Puzzle gemacht, das sich noch nicht recht zu
einem Bild fügen will, aber trotzdem etwas erkennen lässt: zwei
verliebte Jungs. Verliebt in jemanden, der nie mehr zurückkehrt.“
(Seite 242 f.)
Griffin
und Jackson beginnen miteinander zu sprechen und offenbaren dem
jeweils anderen die Erlebnisse, die sie mit Theo verbinden. Stück
für Stück setzen sie das Puzzle zusammen und unternehmen im Angesicht ihrer Trauer den Versuch der Annäherung und
Reparatur...
Adam
Silvera erzählt die hauptsächlich in New York und daneben in Los
Angeles angesiedelten Geschichte zwar aus der Ich-Position von
Griffin, allerdings nicht linear und aus zwei Blickwinkeln heraus. Neben
der 2016 einsetzenden Gegenwart ist es die Vergangenheit im Jahr
2014, die mit dem Outing von Theo und Griffin Relevanz erhält, als
die beiden innerhalb des Dreiergespanns, zu dem noch Wade gehört,
ihre Gefühle füreinander begreifen.
Der
achtundzwanzigjährige Autor, selbst homosexuell, schildert mit
erstaunlicher Ruhe und einem treffsicheren Selbstverständnis ein
Thema, das nicht nur in der Gegenwartsliteratur nach wie vor keine uneingeschränkte Akzeptanz erfährt. Hingegen trifft die
gleichgeschlechtliche Beziehung unter Jugendlichen in seinem Roman
auf positive Resonanz. Griffin und The müssen sich nicht ständig
erklären. Ihre Familien heben sich wohltuend von den sonstigen
Bedenken und Abneigung äußernden Elternpaaren ab, sind geprägt von
Offenheit und Empathie, komplizieren das Verhältnis ihrer Söhne
nicht, sondern geben ihnen jedwede Unterstützung und Zustimmung. Ja,
es entsteht der Eindruck, dass Homosexualität und damit Sexualität
kein Problem ist, sondern eben eine „normale“ Sache zwischen
heranwachsenden Liebenden ist. So wie es sein sollte.
Adam
Silvera bringt es tatsächlich fertig, eine Welt zu schaffen,
deren Mittelpunkt nicht der sonst übliche vorherrschende Weltschrott
von kaputten Beziehungen und Intoleranz ist. Denn auf Grund des endgültigen Verlustes durch den Tod ist die Tragik schon
ergreifend und gefühlsbestimmt genug. Das mag ein wenig fernab der
Realität erscheinen. Es passt indes gut zum Verhalten von Griffin,
der sich zur Verarbeitung seiner Trauer in Paralleluniversen denkt
und daraus Hoffnung schöpft. Tatsächlich ist es so, dass Griffin Theo als stillen Beobachter und Zuhörer betrachtet, dem er
mit erstaunlich ausgeprägter Fähigkeit zur Selbstreflektion wie
beiläufig noch einmal ihre gemeinsame Geschichte wiedergibt.
Hinzu
kommt, dass es Adam Silvera gelingt, neben der Fülle an emotional aufwühlenden Gefühlen, auch heitere Akzente zu setzen, Hoffnung und
Zuversicht aufzubauen.
Hervorzuheben
ist außerdem die Komplexität seiner Figuren, deren Darstellung
Realitätsnähe und Facettenreichtum aufweist. Vor allem Griffin
fällt zweifelsfrei auf, prägen ihn doch seine enorme Sensibilität
und außerdem seine Zwangsstörungen. Gerade Zahlen, das Gehen
auf der richtigen Seite machen sein Leben aus, Theo hat das
akzeptiert. Als Theo nicht mehr da ist, befinden sich Griffins
Empfindungen in einem ständigen Auf und Ab, und seine depressiven,
angstbeeinflussten Zustände nehmen einen großen Teil seines Daseins
ein. Und zur Trauerbewältigung gesellt sich die Frage, ob Griffin
einen Weg zu sich selbst und zu einer gewissen Normalität finden wird.
„Was
mir von dir bleibt“ ist ein queeres Jugendbuch, das sich nicht nur
mit viel Herzblut und Glaubwürdigkeit der gewählten Materie
hingibt, sondern diese auch auf überzeugende und altersgerechte
Weise umsetzt.
4,5 Sterne
4,5 Sterne
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Erschienen ist der Roman im Arctis Verlag, dem ich für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares danke.
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