„Melmoth“
von Sarah Perry ist von dem erfolgreichen Schauerroman „Melmoth der
Wanderer" von Charles Maturin inspiriert. Dieser erschien im Jahr 1820
und stellt einen Mann in den Mittelpunkt, der für 150 Jahre seine
Seele dem Teufel verkauft und dann auf der Suche nach jemanden ist,
der seinen Platz einnimmt. Bei Sarah Perry ist Melmoth eine Frau, ein
mystisches Wesen, das einer unglaublich düsteren und quälenden
Dunkelheit verhaftet ist. Denn Melmoth ist Zeugin einiger
historischer, wahrlich teuflischer Gräueltaten der Menschheit.
Im
Mittelpunkt des Geschehens im Winter des
Jahres 2016/2017 steht die in Prag asketisch lebende und als Übersetzerin
arbeitende Engländerin Helen Franklin: „Klein,
unscheinbar, umweht von einer Traurigkeit, deren Ursache niemand
errät; still erfüllt sie ihre Selbstbestrafung, pflichtbewusst,
ohne Umschweife und voller Selbsthass.“ Unter
ihrem Bett liegt ein grauer Pappkarton, in dem Helens ganzes Dasein auf dreißig mal zwanzig Zentimetern verstaut
ist, so
tief vergraben wie unter englischer Erde, begonnen vor zweiundvierzig
Jahren in Essex in einem Haus mit Rauputzfassade und zweiundzwanzig
Jahre später durch einen reinen Willensakt beendet. Er
stammt aus einer Zeit,
in der Helen wirklich lebendig war. Alles davor ist
nur Prolog, alles danach eine Randnotiz gewesen.
Trotzdem
sie sich Vergnügen und Kameradschaft widersetzt, findet sie einen
Freund: Dr.
Karel
Pražan. Durch ihn macht sie zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem
Mythos der
Melmoth, Melmotte oder Melmotka, wie sie in Prag genannt wird, einer
Frau, die dazu verdammt ist, auf nackten, blutigen Füßen die Welt zu
durchstreifen, um Zeugnis abzulegen von der Gewalt und Grausamkeit
der Menschheit und auf der Suche nach denjenigen, die in die Abgründe
des Elends geraten sind.
„Sie
ist einsam. Ihre Einsamkeit ist uferlos und wird erst enden, wenn die
Welt untergeht und Melmoth Vergebung erfährt. Sie erscheint den
Menschen am Tiefpunkt ihres Lebens, und nur die Erwählten spüren
ihren Blick. Sie heben den Kopf, und plötzlich steht die Zeugin vor
ihnen. Angeblich streckt sie dann die Arme aus und sagt: Nimm meine
Hand! Ich war so einsam!“
Melmoth
scheint Menschen zu mögen, die etwas zu verbergen haben. Wie Helen.
Nach
dem
Verschwinden von Karel hinterlässt er ihr nicht nur seine
Besessenheit von Melmoth, sondern auch ein Manuskript, das eine
Sammlung primärer historischer Quellen enthält, die auf besondere
Art Melmoth darstellen. Jene vielfältige Texte bieten ein klares
und sorgfältiges, gleichwohl erschreckend erschütterndes Zeugnis: Da ist
der tschechoslowakische Junge, der aus Unverständnis und
Langeweile versagt und Schuld auf sich lädt, als er seine Nachbarn,
eine jüdische Familie, denunziert. Wir erfahren von einem Bettler,
dessen Arbeit als türkischer Beamter den Völkermord an den
Armeniern 1915 begünstigt und einem Engländer, der sich im 17.
Jahrhundert an der Verfolgung der Katholiken beteiligt. Und wir
lernen eine junge Frau kennen, deren Körper durch eine Säureattentat
ihres eifersüchtigen Freundes verbrannt wurde und sich nichts
sehnlicher wünscht, als von ihrem qualvollen Leiden erlöst zu
werden.
Sarah Perrys Prosa ist üppig, malerisch und anspruchsvoll. Mit Scharfsinn und durchaus unheimlich anmutenden Bildern wie schwarzen Dohlen gelingt ihr die Verdichtung der detaillierten Ereignisse und die atmosphärische Einbindung des Lesers, der zudem immer wieder direkt angesprochen wird.
Die
Autorin
formuliert ethische und philosophische Fragen, beispielsweise
nach dem Unterschied zwischen dem, was gut, richtig oder gesetzmäßig
ist. Lassen wir uns nicht zu sehr von Äußerlichkeiten ablenken,
weil wir das Innere nicht kennen? Was sind unsere Pflichten in der
Gemeinschaft? Reicht es aus, zu wissen und Zeugnis abzulegen, oder
sind wir miteinander verbunden und involviert, so dass dies aktive
Reaktionen hervorrufen muss? Sollten wir dem Wunsch nach Verdrängung,
auch in Momenten der Schuld
nachgeben oder Verantwortung übernehmen und uns das Gefühl von Anstand
und Hoffnung auch im
tiefsten Dunkel erhalten? Sarah Perry hat eine Antwort hierfür:
"Wir
sind ganz allein, deswegen müssen wir tun, was Melmoth tun würde:
Wir müssen hinsehen und bezeugen, was nicht in Vergessenheit geraten
darf."
na das klingt mal gut und würde mich reizen, aber zZ bin ich einem dicken Buch mittendrin und habe noch 3 neue liegen.Ich habe immer Vorrat ohne buch geht garnicht :-) liebe grüße von Kathrin
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