Dienstag, 30. Juni 2020

IMPRESS Challenge 2020 - Juni: Sommerflüstern


Seit fünf Monaten wohnt Taylor mit ihrer Familie in der neuen Stadt. Während ihre ein Jahr jüngere Schwester Lucy sich schnell eingelebt und einen kleinen Freundeskreis gefunden hat, ist die siebzehnjährige Taylor nicht unbedingt für ihre Kontaktfreudigkeit bekannt. Und sie mag es überhaupt nicht, dass Schulrückkehrer Hunter Reeves sich nicht von ihr abweisen lässt. Und zudem noch ihren Spind als den seinen beansprucht, weil er die älteren Rechte hat.

Dann erinnert sich Taylor, dass sie an ihrem ersten Schultag in eben jenem Spind einen Zettel gefunden hatte: „Fange an deinen Lieblingssong zu hassen.“ Sie zählt eins und eins zusammen und vermutet, dass die Nachricht eigentlich für Hunter bestimmt ist. Tatsächlich weiß Hunter damit etwas anzufangen. Was folgt, ist eine gemeinsame Schnitzeljagd. Und Taylor – so sehr sie sich auch bemüht – wird Hunter irgendwie nicht mehr los.


Sommerflüstern“ von Tanja Voosen hat mich positiv überrascht. Meine Erwartung, eine jener üblichen leichten Liebesgeschichten zwischen Jugendlichen an der Schwelle zum Erwachsensein zu lesen, wurde mit um einige ernstzunehmende Facetten in dem zeitgenössischen Plot ergänzt.

Da die Autorin das Geschehen aus der Ich-Position von Taylor beschreibt, hat sie sich mit ihrem Erzählton dem Alter ihrer Protagonistin angepasst, und der ist erfrischend locker, ohne all zu flapsig zu sein. Daneben gibt es nachdenkliche Momente, die den durch die Ereignisse gewonnenen Eindruck vertiefen. 

Ganz offensichtlich profitiert „Sommerflüstern“ von seinen außergewöhnlichen Hauptfiguren Taylor und Hunter, deren Interaktion und den vielen Wortgefechten. Beide sind nicht auf den Mund gefallen, die „Bälle“, die sie sich zuwerfen, sind vordergründig amüsant und witzig, oft ironisch, manchmal auch sarkastisch, haben Biss und Charme gleichermaßen. Sie offenbaren Intelligenz und Geschick beim Einsatz von Sprache und eine gewisse Reife.

Jedoch haben Taylor und Hunter trotz ihres jugendlichen Alters in der Vergangenheit nicht nur positive Erfahrungen gemacht, sondern Dinge erlebt, die sie in ihrer Wesensbildung beeinflussten.

Es fällt Taylor unsagbar schwer, Hunters Zuneigung zu akzeptieren. Sie ist eine Einzelkämpferin, etwas kantig und jähzornig und im Grunde immer in Verteidigungshaltung. Ihre starke Persönlichkeit nimmt sie selbst gar nicht wahr, genauso wenig wie ihre Wirkung auf Hunter. So stellt sie für diesen eine Nuss mit harter Schale, aber weichem Kern dar. Und er arbeitet mit Geduld und vielleicht auch ein bisschen Verbissenheit daran, sie zu knacken, weil er erkennt, dass sie niemand in ihr Inneres schauen soll.

Kennst du das Gefühl, wenn du einem Menschen begegnest und ihn auf den ersten Blick nicht ausstehen kannst? Von solchen Menschen sollte man sich fernhalten, weil sonst etwas ganz Schreckliches passieren könnte.“ „Nein“, antwortete er. „Kennst du das Gefühl, wenn du einem Menschen begegnest und ihn auf den ersten Blick furchtbar sympathisch findest, weil er dich zum Lachen bringt? Von solchen Menschen sollte man sich nicht fernhalten, weil einem sonst etwas ganz Wunderbares entgeht.“ (Seite 29)

Hunter kontert mit Schlagfertigkeit und motiviert Taylor, ihre selbstgewählte Isolation zu verlassen. Seine eigenen Sorgen hingegen versteckt er hinter einer heiteren Fassade und reagiert anfangs stur, wenn die Rede darauf kommt. Einmal Vertrauen gefasst, ist er hingegen aufgeschlossen und geradlinig.

Nicht nur hier zeigt Tanja Voosen Geschick bei der Schilderung, sondern ebenso bei der Entwicklung der Helden und ihrer Emotionen, die ich als einfühlsam und überzeugend einschätze.

Der im letzten Drittel der Geschichte gewählte Handlungsverlauf hat mich indes ein wenig überrollt, weil er teilweise konstruiert wirkt. Obgleich sie einen gewissen Kick in das Geschehen bringen, hätte es solcherart dramatische Szenen meines Erachtens nicht gebraucht.

Davon abgesehen, ist "Sommerflüstern“ eine hinreißende Liebesgeschichte, die vor allem wegen ihres bemerkenswerten Protagonistenpaares Taylor und Hunter fasziniert.

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