"Pass ma uff Keule. Berliner sin nett untananda und ooch zu ihre Jäste", hätte es möglicherweise im 14. Jahrhundert gut heißen können, wenn es denn die Berliner Kodderschnauze schon gegeben hätte, die manch empfindliche Ohren und Wesen heute als etwas derb und plautzig wahrnehmen und sich daher eingeschüchtert fühlen. Doch im Gegensatz zum Ruf des Berliners, unfreundlich, rücksichtslos, ruppig und rechthaberisch zu sein, meint der Berliner es meist aber nicht so, wie es vorne rauskommt. Denn im Grunde haben die Berliner immer ein großes Herz, das sie auf der Zunge tragen. Und das trotz ihrer schnoddrigen Art und entwaffnenden Direktheit. Denn die "große Klappe" ist eigentlich nur der Ausdruck ihrer (angeborenen) Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe. Statt langatmig und arglistig um den Brei herumzureden, wird einfach gesagt, wie es ist, quasi Tacheles geredet.
Mit diesem Bild eines Berliners vor Augen, der kein Blatt vor den Mund nimmt und diesen noch unverhältnismäßig weit aufreißen kann, begeben wir uns 1325 mit der Bernauer Familie Harzer mitten hinein in die lebendige Doppelstadt Cölln-Berlin, die aus zwei jungen aufstrebenden Metropolen besteht, die sich zu beiden Seiten der Spree, im heutigen Stadtbezirk Mitte, aus zwei Kaufmannssiedlungen entwickelten. Da die Lage am Spreeübergang und Schnittpunkt bedeutender mittelalterlicher Handelsstraßen günstig war, nahmen beide Städte innerhalb kurzer Zeit einen schnellen Aufschwung und bildeten 1307 eine Union.
Über 400 Jahre existierten beide Städte in enger Abstimmung und Zusammenarbeit parallel nebeneinander, bevor sie sich 1709/1710 auf Befehl des preußischen Königs Friedrich I. unter Einschluss der weiteren Städte Friedrichswerder, Dorotheenstadt und Friedrichstadt zur Residenzstadt Berlin vereinigten.
Gekonnt verwebt Charlotte Lyne historische Ereignisse mit den handelnden Personen und lässt die Zeit des Geschehens so bildhaft vor dem Auge erstehen, dass man meint, dabei zu sein. Dazu ist zum einen auch die Karte aus dem 14. Jahrhundert, die den Umschlag innen ziert, hilfreich. Viele Straßen, Plätze und Bauwerke gibt es immer noch, so dass man sich mit ein wenig Kenntnis des heutigen Berlins in der Doppelstadt des 14. Jahrhunderts gut zurechtfindet. Zum anderen verschafft einem die Autorin mit ihrer feinfühligen und ausdrucksvollen, fernab von Klischees gewählten Sprache eine vorstellungsintensive Teilnahme nicht nur am Leben der Menschen unter zum Teil widrigen Umständen, sondern ebenso an ihrem Handeln, Denken und Fühlen, so dass man sich zugehörig fühlt und bereits beim Lesen bedauert, sich irgendwann von den lieb gewonnenen Personen verabschieden zu müssen.
Mir werden sie deshalb alle fehlen: Opa Harzer, dessen Versuch, seine Enkel zu lebenstüchtigen Menschen zu erziehen, nicht in Gänze gelungen, der jedoch immer noch zu Einsichten fähig ist. Diether, den ich trotz seiner Eskapaden schnell ins Herz geschlossen habe. Denn einer, der an sich zweifelt und der Meinung ist, zu nichts zu taugen, weil es es mit Schlägen und Schelte fast täglich belegt bekommt, kann schon dumm und unüberlegt handeln. Doch wenn in so einem Menschen ein guter Kern steckt, der nur freigepellt werden muss, ist er nicht verloren. Nicht vergessen werde ich den "Drachentöter" Hans, der für Freunde auch in die Bresche springt, wenn sie ihm ein X für ein U vormachen wollen, der vorlaute Petter, der wie ein echter Berliner gern mit dem Mund vorneweg ist, aber trotzdem zu seinem Wort steht, und all die anderen, die wie Pech und Schwefel zusammenhalten, füreinander einstehen und Berlin zu etwas Besonderen machen (werden). Sie haben das Zeug dazu, den Mut und die Hingabe, etwas Neues schaffen zu wollen...
Natürlich werde ich auch Thomas vermissen, dieses kraftstrotzende Mannsbild, das ein Erdrutsch in Mönchskutte ist, das sich schon mal in die Hand beißen lässt und dann trotzdem die Schönheit des Mädchens rühmt und sie küsst. Dessen Augen manchmal wie eine Laute schlagen, und in dessen Wimpern sich ein Funkeln verkriecht.
Vor allem aber werde ich Sehnsucht nach Magda haben, diesem würzschönsten, krautstämmigen, auf guter Brandenburger Erde gewachsenen Mädchen mit ihrem eindrucksvollem Mut und ihrer beachtlichen unversiegbaren Hoffnung, deren bescheidener Wunsch es ist, dass ihre Familie zusammen ist, dass sie es alle warm beieinander haben und dass über dem Feuer stets ein Topf hängt, in dem dicke Erbsen für den Abend köcheln, und die zupackt und nicht viel Gedöns darum macht, die von Innen strahlt und einfach das Herz auf dem rechten Fleck hat. Eine Berlinerin eben...
Liebe Anke,
AntwortenLöschendas ist ein guter Einblick.
Einen frohen Abend wünscht dir
Elisabeth
Liebe Anke,
AntwortenLöschendas ist mal abgespeichert.... wenn ich wieder mehr Zeit habe ;))
Danke!! ♥
Hab eine schöne Woche und ganz liebe Grüße
Christel
Moin Anke,
AntwortenLöschendanke für die Rezi zu Charlies Roman, das klingt ja spannend. Ich weiß auch, dass sie eine sehr besondere Sprache hat - hast du mal den Roman über Vineta von ihr gelesen?
LG aus dem Norden