Dienstag, 3. Oktober 2023

Blogger für HOMER 2023 - Der Verein HOMER Historische Literatur

Die Leser meines Blogs wissen bestimmt um meine Leidenschaft für historische Romane und mein Engagement für HOMER Historische Literatur. Dazu war in den letzten Monaten reichlich Gelegenheit. Heute möchte ich euch den Verein und seine "Arbeit" etwas näher vorstellen.
Was ist ein historischer Roman? Wie erzeut man Spannung? Was isst wichtier, die Handlung oder de Darstellung der Charaktere? Muss Kunst das Leben nachahmen oder das Leben die Kunst? Oder ahmen sich beide gegenseitig nach? Was ist Literatur? Gibt es „bessere“ und „schlechtere“ Literatur? Ist Unterhaltung gleichbedeutend mit Trivialität? Warum ist das Wort für Historie das gleiche wie das für Erzählung.

Mit diesen und vielen anderen Fragen beschäftigen sich die Mitglieder des Vereins HOMER Historische Literatur.

Sein Vorstand wurde im Juni 2021 neu gewählt, und seitdem lenken Christina Auerswald als 1. Vorsitzende, Kerstin Gröper-Schmäling als 2. Vorsitzende, Nadja Beinert als Kassenwart sowie Regine Kölpin als Schriftführerin die Geschicke des Vereins.

Die Vereinigung bietet derzeit 71 Autoren der unterschiedlichen historischen Genres und Subgenres eine „Heimstadt“, in der sich jeder, der seine Leidenschaft für das Erzählen von Geschichten im historischen Kontext verschrieben hat, wohlfühlen soll.Der Name HOMER geht auf den antiken Dichter Homer zurück, der mit seiner Fabulierkunst die ganze Bandbreite menschlicher Tragödie und menschlichen Irrens erfasst und Abenteuer, Mord, Gier, Missgunst gepaart mit Liebe und Leidenschaft in eine spannungsgeladene Handlung gepackt hat. Seine Epen erfassen die Mannigfaltigkeit dessen, was Leser an historischen Werken zu begeistern vermag.

Die HOMER-Autoren haben sich neben dem Schreiben ein Ziel gesetzt: Sie wollen die alte Debatte über Trivialliteratur und „ernsthafte“ Literatur und damit die Auseinandersetzung darüber, dass eines „besser“ oder „wertvoller“ sei als das andere beenden. Schließlich ist Literatur dem Wandel von Zeit und Normen unterworfen, wodurch sich die Relevanz von Begrifflichkeiten ebenso verändert. Darum ist es wichtig, wo sich vielfältige neue mediale Möglichkeiten bieten, eindimensionale Begrenzungen abzubauen und den Streit über die Wichtigkeit von Realismus oder Romantik zu den Akten zu legen. Denn beides kann auf seine Art hervorragend sein.

Jedes Jahr vergibt die Vereinigung den HOMER Literaturpreis in Gold, Silber und Bronze für die besten historischen Roman des Vorjahres. Diese Preisträger werden unter anderem mit einer Medaille, einer Urkunde und einem symbolischen Geschenk geehrt.


Am 7. Oktober 2023 werden wir endlich wissen, welche Kandidaten der Shortlist dieses Jahres die Auszeichnungen erhalten.

„Literatur ist, was gelesen wird“

Freitag, 29. September 2023

Die lange Nacht des historischen Romans

Zugegeben eine lange Nacht war es nicht wirklich. Aber wenn sich in der Stadt der sieben Türme um 7:00 Uhr abends sieben Autoren zusammenfinden, um jeweils sieben Minuten aus ihren Werken zu lesen, ist das ein Ereignis, das nicht lang genug sein kann, weil es so viel Freude macht und deshalb die Bezeichnung verdient.


Dies sahen wohl auch die 160 Gäste im ausverkauften Scharbausaal der Stadtbibliothek Lübeck so, die der "Einladung" des Literaturforums Lübeck gefolgt waren, um nicht nur in einem exzellenten und wirklich passenden Ambiente ausgezeichnet unterhalten zu werden, sondern ebenso die Möglichkeit wahrzunehmen, mit sämtlichen Autoren in Kontakt zu kommen und Fragen zu stellen. Natürlich stand auch ein großer Büchertisch bereit, und für die erworbenen Bücher bestand die Gelegenheit, diese sogleich signieren zu lassen.


Hilke Flebbe vom Literaturforum Lübeck war nicht nur für die Eröffnung der "Langen Nacht" verantwortlich. Sie schlug im Verlauf des Abends auch den Gong, der mit lautem Getöse die jeweilige Lesezeit der Autoren beendete. Ihre Mitstreiterin Simone Luers hingegen hatte die Position hinter der Kamera eingenommen. 


Die Fäden für die Anmoderation "ihrer" Autoren hatte Christina Auerswald in der Hand.


Sie ist 1. Vorsitzende des Vereins HOMER Historische Literatur, und sämtliche Lesende sind Mitglieder der Vereinigung. Womit ich sie euch nun endlich auch vorstellen möchte.


Sabine Weiß und Christina Auerswald (für die erkrankte Caren Benedikt)


Sina Beerwald und Udo Weinbörner


Sylvia Lott und Joël Tan


Anna Perbandt


Zu guter Letzt alle auf einen Blick.

Was für ein gelungener Abend. Ich bedanke mich bei allen Beteiligten, es war mir eine Freude, dabei gewesen zu sein.


„Literatur ist, was gelesen wird“

Dienstag, 12. September 2023

Blogger für HOMER 2023 - Das literarische Vermächtnis des Ulf Schiewe: Der eiserne Herzog

 
Spät hat Ulf Schiewe seine Leidenschaft für das Schreiben entdeckt, und trotzdem gehört er zu den Autoren, an die wir denken, wenn wir von historischen Romane sprechen. Es stimmt mich sehr traurig, dass die Schaffensphase so plötzlich durch seinen Tod im März diesen Jahres beendet wurde, und darum freue ich mich, dass ich das letzte veröffentlichte Werk bewerten darf. „Der eiserne Herzog“ steht auf der Shortlist für den Literaturpreis HOMER 2023 und hat gute Chancen, geehrt zu werden.
 
 
 
Dabei ist die von Ulf Schiewe gewählte Thematik auf den ersten Blick gewagt, sind doch die Quellen über die von ihm geschilderten Ereignisse um Wilhelm, den Herzog der Normandie, der als Wilhelm der Eroberer in die Geschichte eingegangen ist, und seinen Kontrahenten Harold Godwinson nicht allein wegen der Ausführungen auf dem berühmten Teppich von Bayeux recht umfangreich und auch wahrheitsgemäß. Wie gelingt es insofern, nicht nur an Hand von historisch korrekten Ereignisse, Fakten und Daten sowie den integrierten Personen den Ablauf des Geschehens darzustellen, sondern auch eine fesselnde Geschichte zu entwerfen, in der die Motivation und die Gefühlswelt der Vergangenheit glaubhaft zum Leser ins Heute transportiert werden?
 
Das Leben des jungen normannischen Herzogs Guilhelm ist geprägt von Kämpfen. Selbst die Frau, die er begehrt und der er in Liebe verbunden sein wird, bedarf einiger Bemühungen. Letztlich wird Matilda von Flandern die Seine und steht treu zu ihm. Auch die Normandie scheint – von einigen Scharmützeln abgesehen – gesichert. An Englaland verschwendet Guilhelm keinen Gedanken, bis der kinderlose König Eadweard ihn zu seinem Nachfolger bestimmt. Ein Affront für die Sachsen. Niemand will einen Normannen auf dem Thron. Vor allem nicht die Familie Godwinson, die im Grunde die Macht im Land in Händen hält.
 
Obwohl Harold Godwinson – zugegeben mit ein wenig Druck von Guilhelm – schwört, den normannischen Herzog zu unterstützen, wird er nach dem Tod des Königs eidbrüchig und zum König gekrönt. Damit kann sich Guilhelm nicht abfinden.
 
In der Schlacht bei Hastings entscheidet sich 1066 nicht nur ihrer beider Schicksal ...


„Der eiserne Herzog“ ist unzweifelhaft ein echter Schiewe, deutlich erkennbar an seinem enthusiastischen und packenden Schreibstil. Hier ist alles auf den Punkt gebracht und ohne überflüssige Floskeln. Nicht nur die Verwendung der gegenwärtigen Zeitform zieht uns als Leser von Anbeginn an ins Geschehen. Es sind ebenso die prägnanten und illustrativen Szenen, die zwischen der Normandie und Englaland wechseln und uns andauernd bannen und die damaligen Ereignisse mit enormer Atmosphäre auf uns wirken lassen. Außerdem wird die Handlung dicht und ohne Längen, voll innerer Kraft erzählt und entbehrt trotz bekannten Verlaufs der Historie nicht der spannungsgeladenen Dramatik in der Entwicklung bis hin zum wuchtigen Schlachtengemälde, das der Autor in höchster Kunst gezeichnet hat.
 
Ulf Schiewe beweist in seinem Werk erneut seine Fertigkeit bei der akribischen und sorgfältigen Recherche und der folgenden Auswertung der Fakten sowie Interpretation mit der eigenen Fantasie, wo es an einer solchen fehlt. Lobenswert ist überdies, dass sich der Autor nicht in maßlosen Beschreibungen der Örtlichkeiten verfängt, gleichwohl sind diese so geschildert, dass sie aich beim Lesen komplett erschließen.
 
Obwohl die Protagonisten im Grunde bekannt sind, erstaunt zum einen die Tiefe, mit der sich Ulf Schiewe ihnen allen gewidmet hat. Mit bemerkenswerter Sicherheit nähert er sich seiner titelgebenden Hauptfigur und stellt sie in den Fokus, ohne dabei die weiteren Persönlichkeiten, die tragende Rollen einnehmen, zu vernachlässigen. Daneben sind die fiktiven Figuren zurückhaltend eingesetzt und agieren ausgezeichnet im Verbund mit ihren historischen Gefährten.
 
Gefallen hat mir, in welcher Art und Weise Ulf Schiewe die Kontrahenten präsentiert. Sowohl Guilhelm als auch Harold offenbaren sich komplexe Persönlichkeiten, die sich in ihren Ansichten und ihrem Bestreben gar nicht so sehr unterscheiden. Sie sind willensstark und konsequent, aber beileibe nicht frei von Widersprüchen.
 
„… Du bist immer so selbstsicher, wirkst so unzerstörbar … Nichts scheint dich umzuwerfen. Kein Wunder, dass man dich den ‚Eisernen Herzog‘ nennt.“, sagt Matilda zur ihrem Ehemann und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Indes ist auch sie eine Frau mit Charakterstärken, die Guilhelm an ihr schätzt.
 
Überhaupt nehmen die Frauen beider Männer einen hohen Stellenwert ein. Sowohl Matilda als auch Ealdgyth sind wichtige Stützen ihrer Partner, und die feine Sensibilität des Autors in der Veranschaulichung - auch von emotionalen Momenten - ist grandios und wirkungsstark.
 
Alles in allem ist „Der eiserne Herzog“ ein fulminanter historischer Roman, mit dem Ulf Schiewe sich (ungewollt) ein kleines Denkmal gesetzt hat.
 
 
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Erschienen ist der Roman bei Lübbe Belletristik. Ich danke dem Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares.

Donnerstag, 31. August 2023

Blogger für HOMER 2023 - Interview mit Ana Pawlik

Bald ist ist es soweit: Am 7. Oktober 2023 wird in Ingolstadt der Literaturpreis HOMER in Gold, Silber und Bronze verliehen. Die Autorin Ana Pawlik, deren zweiter Band der Österreich-Saga es nach der Vorjahresnumenierung erneut auf die Shortlist schaffte (meine Rezension findet ihr hier), hat mir ein paar Fragen beantwortet.
 
 
 
Liebe Ana, warum hast du dich an das Verfassen historischer Romane gewagt, da hierfür ja unbestreitbar fundierte Recherchen erforderlich sind?
 
Ich habe selber schon seit Langem gerne historische Romane gelesen und mich oftmals gefragt, wie man es angehen müsste, selber einen Histo-Roman zu schreiben. Dabei war es mir wichtig, dass der Roman dann auch aus verschieden Perspektiven von verschiedenen Figuren erzählt wird. Dann habe ich einen Plan gemacht und begonnen zu schreiben. Eine befreundete Mittelalter-Historikerin, die sich auf den Ostalpenraum spezialisiert hat, hat mir viele Tipps gegeben, wo ich welche Quellen, Berichte und andere Infos über die Zeit finde.
 
Nach "In den Klauen der Macht" setzt du die Reihe mit "Die Welt im Nebel" fort. Wie kam es zu diesem Titel, und welche Beweggründe stecken hinter der Auswahl?
 
Ursprünglich hätte es keine Romanreihe, sondern ein einziges dickes Buch mit etwa 1000-1200 Seiten geben sollen. Als ich etwa so viele Seiten geschrieben hatte, aber noch nicht fertig mit der Story war, habe ich schon mal nach einem Verlag gesucht. Eine Literaturagentur hat mir dann gesagt, dass es beinahe unmöglich sei, einen Verlag für solch ein langes Erstlingswerk zu finden. Ich soll alles entweder auf unter 500 Seiten kürzen oder mehrere Bände machen, von denen jeder aber eine in sich abgeschlossene Geschichte enthält.
 
„Die Welt im Nebel“ hätte ursprünglich der Titel für das gesamte dicke Werk werden sollen, passte dann aber nicht zu Band 1, sondern nur zu Band 2. Der Titel steht einerseits für das oft so verregnete Ennstal, das ja der Hauptspielort ist. Andererseits ist es als Metapher zu sehen: Der König des Reichs ist gestorben und die Welt liegt in undurchsichtigem Nebel. Niemand weiß, wie es weitergehen wird. Über ein Jahr lang gibt es keinen neuen König.
 
Dein Roman führt uns in das Mittelalter, genauer in das Hochmittelalter. Warum ist deiner Meinung nach diese Epoche so anziehend für LeserInnen? 
 
In Österreich gab es vom Mittelalter bis in die Neuzeit zwei große Herrschergeschlechter, die jahrhundertelang – zumindest über den Osten des heutigen Österreichs – geherrscht haben: im späten Frühmittelalter und Hochmittelalter die Babenberger und im Spätmittelalter bis in die Neuzeit die Habsburger. In der Zeit dazwischen wurde der Osten und der Süden Österreichs über ein paar Jahrzehnte lang vom Böhmenkönig Přemysl Ottokar regiert. Und das finde ich sehr spannend. Erst wenn man diese Zeit verstanden hat, versteht man auch, wie es zum Beginn der Habsburger Ära gekommen ist.
 
Deine detaillierte Darstellung der örtlichen und historischen Gegebenheiten lässt eine hervorragende, fast visuelle Betrachtung zu. Was hat dir beim Schreiben Freude bereitet und was nicht?
 
Eigentlich hat alles beim Schreiben Freude bereitet. Mir war es immer wichtig, dass sich die Leser*innen mit allen Sinnen in das Buch hineinfühlen können und dass sie alles sehen, riechen, schmecken, hören und fühlen können, was meine Figuren erleben.
 
Wenn ich etwas nochmal recherchieren musste, weil ich es nicht aufgeschrieben und deshalb Teile davon vergessen habe, dann war das manchmal etwas nervig.
 
Das Leben im Mittelalter ist geprägt von den Gegensätzen zwischen Arm und Reich, Land und Stadt, Frauen und Männern. Tatsächlich überrascht es, dass Glücksmomente insgesamt eher rar sind und im Grunde "jeder sein Päckchen trägt" und sich um sein Dasein bemüht. War das deine Intension beim Schreiben?
 
Ja, jeder sollte seine eigene Geschichte mit seiner eigenen ausführlichen Biografie haben, die erklärt, was meine Figuren antreibt, was sie zu dem oder der Person macht, die sie heute ist und worüber sie nachdenkt. Und trägt nicht auch in der echten Welt jeder sein Päckchen?
 
Konntest du die historischen Persönlichkeiten gut in die Geschichte einbinden, oder gab es dabei Schwierigkeiten?
 
Im Grunde konnte ich sie gut einbinden. Manchmal war es schwierig, dass Ereignisse aus der Fiktion mit Ereignissen aus der Historie zeitlich zusammenpassen. Da musste die Fantasie dann nachhelfen und noch weitere Ereignisse geschehen lassen, damit dann beides wieder zusammenpasste.
 
Euphemia musste im Buch zum Beispiel lange auf ihr erstes Kind warten und eine Fehlgeburt durchmachen, da die Kinder der historischen Person Euphemia in Quellen auch erst zu einem späteren Zeitpunkt datiert sind.
 
Hast du während des Schreibens Veränderung bei der Entwicklung, Handlung und Haltung deiner fiktiven Figuren vorgenommen? Wenn ja, welche?

Irenfried hatte ursprünglich eine kleinere Rolle. Kein Kapitel war anfänglich aus seiner Sicht beschrieben. Das hat sich erst so ergeben, als ich aus dem dicken Buch eine Buchreihe geschaffen habe. Es gefällt mir jetzt aber so besser, weil man jetzt auch erfährt, was Irenfried in seiner Kindheit und Jugend erlebt und ihn zu dem gemacht hat, was er jetzt is.

Die Magd und spätere Bäuerin Bertrada hat es in der allerersten Planung noch nicht gegeben. Sie ist während des Schreibens entstanden …. Zum Glück. Denn ich finde ihre Rolle wichtig.
 
Welche Personen liegen dir vor allem am Herzen? Gibt es auch welche, die dich erzürnt haben?
 
Meine Lieblinge sind Claus und Ännlin. Bertrada bringt mich mit ihrem Duckmäusertum manchmal zum Verzweifeln. Und Rudwin verabscheue ich leidenschaftlich.
 
Da stimme ich mit dir überein, ich schätze Claus und Ännlin sehr. Betrada tut mir auch ein wenig leid, und Rudwin wünsche ich wirklich nichts Gutes ... Einmal angenommen, du könntest für einen Tag in die Haut einer deiner Figuren schlüpfen, welche wäre das und warum?
 
Ännlin, wenn sie durch den Wald schleicht und sich in ihrem Waldhaus über dem Feuer einen Eintopf zubereitet. Denn ihr Waldleben, so hart es auch war oder ist, verströmt einen Geruch von Freiheit.
 
Oh ja, diese Auswahl kann ich sbsolut nachvollziehen ... Nachdem du dann wieder in der Gegenwart angekommen bist: Wer oder was kann dir einen anstrengenden Recherche- oder Schreibtag "versüßen"?

Ein Kaffee mit Hafermilch, ein Glas Rotwein oder auch eine Radtour durchs Ennstal. Radtouren durchs Ennstal sind immer gut, denn wenn ich völlig mit den Gedanken in meinen Büchern versunken bin, kann ich mich dabei ein bisschen so fühlen, als reite ich wie Arnulf auf dem Pferd durch die Gegend.
 

Vielleicht reiten wir einmal gemeinsam, nicht nur in Gedanken ... Ein herzliches Dankeschön, liebe Ana, dass du dir für die Beantwortung meiner Fragen Zeit genommen hast.

Freitag, 25. August 2023

Blogger für HOMER 2023 - Die Welt im Nebel


1272 gerät das Heilige Römische Reich in eine prekäre Situation. Nach dem Tod Richards von Cornwall scheitert die Wahl des nächsten Königs durch die sogenannten Königswähler, einem engen Kreis von geistlichen und weltlichen Kurfürsten, daran, sich auf einen Kandidaten zu einigen.

Zu den Anwärtern gehört Přemysl Ottokar von Böhmen, der nicht nur das Herzogtum Österreich, sondern unter anderem auch die Steiermark, das Egerland und Kärnten beherrscht und über Besitzungen vom Erzgebirge bis zur Adria verfügt. Wegen dieser beeindruckenden Machtposition kann er bei der Königswahl nicht einfach übergangen werden. Přemysl Ottokar selbst mobilisiert alle Kräfte, um sich die begehrte Krone aufs Haupt setzen zu lassen. Dafür bedarf es nicht nur intensiver Verhandlungen, sondern ebenso der Unterstützung von Verbündeten.

In den vergangenen zwei Jahren hat das Herzogtum Österreich einiges miterlebt, unter anderem die zahlreichen Reibereien mit den Ungarn, die erst im Sommer zuvor mit einem Schluss eines Friedensvertrages zu einem Ende gekommen sind, zumindest vorläufig.

Přemysl Ottokar plagen zum einen Geldnöte und zum anderen die Schwierigkeiten bei der Versorgung seines Heeres. Das bekommen seine Vasallen zu spüren, weil er von ihnen höhere Abgaben fordert. Er wird immer verbissener und seine Vorgehensweise härter. Dietmar von Losenstein ist ob dieser Umstände frustriert, denn seine Treue zu Přemysl Ottokar sieht er noch nicht durch ein würdiges Amt – wie das des Grafen von Styra – belohnt.

Indes ist Dietmar nicht der einzige, der den Anspruch von Přemysl Ottokar in Frage stellt. Das Lager der Gegner des Herzogs wächst und bleibt nicht untätig. Es will einen Zeugen auftreiben, mit dessen Aussage eine mögliche Kandidatur des böhmischen Königs verhindert würde. Auserkoren für diese eindeutig gefährliche Suche ist unter anderem Arnulf von Steinbach, der als Freund Dietmars von Losenstein fest an seiner Seite steht.

Ihr größter Widersacher, Irenfried von Styra, hingegen sieht seine Stunde gekommen, sich im Dunstkreis von Přemysl Ottokar zu profilieren. Erweist er sich als treuer Vasall, hofft er auf die Chance, eine der Töchter des Herzogs zu ehelichen. Aber die ihm erteilte Aufgabe ist risikoreicher als gedacht. Der mitleidlose und zur Brutalität neigende Irenfried wäre allerdings nicht er selbst, wenn er nicht eine Lösung für sein Problem finden würde.

Auch das Dorf Raming wird von den Forderungen Přemysl Ottokars nicht verschont. Angetrieben vom rücksichtslosen Irenfried sollen die Männer Holz für die zahlreichen Waffenschmieden liefern. Als die Baumstämme auf der zu viel Wasser führenden Enns geflößt werden, geschieht ein großes Unglück.

Das bringt bei Claus, Knecht auf dem Hof des Meiers Rudwin, der letztlich ohne auf die Ratschläge erfahrener Männer hören wollte, die Anweisung zum Flößen der Stämme gegeben hatte, das Fass zum Überlaufen.

Rudin hasst Claus, weil dieser klüger ist als er. Zugleich hat er Angst, dass die anderen Bauern herausfinden, dass die Vorschläge zur Bearbeitung der Felder von Claus zwar besserwisserisch klingen, gleichwohl ehrlich und bedacht sind und Veränderungen zum Wohle der Bauern in Raming schaffen würden.

Ännlin, die fern von den Menschen groß geworden und völlig ahnungslos von der Welt außerhalb des Waldes gewesen ist, fühlt sich nach wie vor einsam und niemandem zugehörig, obwohl das Schicksal sie mit Euphemia von Eberstorf zusammengebracht hat, der sie bei einem Raumüberfall das Leben rettete und die sie als Zofe in ihre Dienste nahm. Die junge Frau hat so etwas wie eine Heimat gefunden. Euphemia ist freundlich zu ihr und einer der wichtigsten Menschen im Ännlins Leben. Sie bietet ihr Unterkunft und Schutz. Aber dann verliebt sich Ännlin, und sie fühlt sich hin und her gerissen.

Euphemia wiederum wollte Nonne werden, damit sie schreiben und lesen lernen kann, denn Bücher üben eine enorme Faszination auf sie aus. Doch im Gegensatz zu Ännlin ist Euphemia wesentlich unfreier, in ihren Entscheidungen oder gar in der Liebe. Nach ihrer Wut und Trauer über ihre überstürzte Hochzeit mit Dietmar von Losensteinhat sie ihr Los angenommen, ihre Aufgabe, eine anständige Ehefrau zu sein, Kinder zu gebären und sich um die Ordnung im Haushalt ihres Ehemannes zu kümmern, zu erfüllen. Und plötzlich stellt sich auch bei ihr unerwartet die Liebe ein.

Vor einem historischen Hintergrund, der viel Zündstoff bietet, liegt nicht allein „Die Welt im Nebel“. Viele der Beteiligten geraten in konfliktreiche Auseinandersetzungen und Verschwörungen.

Graue Wolken, so weit das Auge reichte. Die Welt liegt im Nebel, dachte Claus, hier in Raming ebenso wie im Rest des Römischen Reiches … Überhaupt schien ihm sein ganzes Dasein vernebelt. Nirgends konnte er einen Weg erkennen, der ihn zu einem zufriedenen Leben an der Seite einer Frau führte, die er liebte.“ (Seite 391)

Mit der Handlung in „Die Welt im Nebel“, dem zweiten Band ihrer Österreich-Saga, knüpft Ana Pawlik nahtlos an das Geschehen des ersten Bandes an. Dank immer wieder eingestreuter Rückblenden gelingt ein Einstieg in die Geschichte auch für Leser, die sich die Freude an der Lektüre von „In den Klauen der Macht“ versagt haben und darum keine Vorkenntnisse besitzen.

Ana Pawlik hat die Einarbeitung historischer Hintergründe und Begebenheiten intensiviert. Geschickt verbindet sie die von ihr hervorragend recherchierten geschichtlich nachweisbaren Ereignisse in einer politisch aufgeladenen Phase des Umbruchs im Herrschaftsgefüge des Heiligen Römischen Reichs mit einem fiktiven Geschehen. Dadurch wirkt die Handlung sehr authentisch.

Mittels prägnanter Veranschaulichung der Gegensätze zwischen den unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, insbesondere der Lebensumstände der einfachen Bevölkerung, der Bauern, Knechte und Mägde, eröffnet sich uns eine intensive Sicht auf ein alltägliches Dasein, die zum Mitfiebern, Mitleiden und Mitfreuen einlädt. Hierbei fehlt es nicht an einer Schilderung des Umfeldes, in denen sich der niedere Adel bewegt. Die Autorin macht deutlich, dass auch diesbezüglich eine deutliche Art von Unfreiheit herrscht und Glück und Erfolg gleichermaßen erkämpft werden müssen.

Treu bleibt die Autorin auch den wechselnden Perspektiven, in denen sie die Ereignisse erzählt. Zu keiner Zeit verliert sie den Faden. Auch der zweite Band hält die Spannung wirklich hoch und ist in der Beschreibung der Schauplätze sehr visuell.

Stärken und Begeisterung zeigt Ana Pawlik ebenfalls in der Figurenentwicklung. Ihre Charaktere agieren kraftvoll, herausfordernd und emotional, wirken leidenschaftlich und glaubwürdig und wecken Gefühle in uns, demzufolge wir unsere Sympathie und Antipathie verteilen.

Im zweiten Band ist ein Personenregister vorangestellt, das den Überblick über die Protagonisten erleichtert. Daneben verschafft eine Landkarte die Möglichkeit der Orientierung. Zu guter Letzt klärt die Autorin im ausführlichen Nachwort, was Fiktion und was historische Wahrheit ist. Erwähnt werden soll außerdem das individuelle, von der Künstlerin Lenka Fiala entworfene Cover, das sich von der Masse abhebt und ausgezeichnet zu einem wesentlichen Inhalt der Geschichte passt.

Ana Palik beweist mit „Die Welt im Nebel“, dass sie ihre Fähigkeit nach ihrem Debüt „In den Klauen der Macht“ wiederholt: Sie hat einen eindrucksvollen historischen Roman verfasst, bei dem die hochwertige Erzählkunst in seiner Gesamtheit überzeugt und folglich anerkannt und bewundert werden muss. Aus diesem Grund steht die Autorin mit ihrem Werk unzweifelhaft zurecht um zweiten Mal in Folge auf der Shortlist für den Goldenen HOMER.