Montag, 26. Juni 2023

Alles behalten für immer. Ruth Rilke

Ruth Rilke hat die Erinnerungen an ihren Vater, den Dichter Rainer Maria Rilke, immer hochgehalten, obwohl die Zeit, die sie – auch wegen der frühen Trennung der Eltern – gemeinsam mit ihm verbrachte, gering bemessen war.

Überhaupt wissen recht wenige, dass Rilke eine Tochter hatte. In der öffentlichen Betrachtung ist ihr Bild blass geblieben, und es ist der Literaturwissenschaftlerin Erika Schellenberger zu verdanken, dass dies in „Alles behalten für immer. Ruth Rilke“ mittels behutsamer und aufklärender Annäherung korrigiert und Ruth Rilke als Hüterin des Nachlasses ihres Vaters die ihr zustehende Aufmerksamkeit und Anerkennung verschafft wird.
 
Doch Ruth Rilke ist nicht nur die Tochter eines bedeutenden Vaters, sondern auch einer ebensolchen Mutter: die bekannte Bildhauerin und Malerin Clara Westhoff. Diese lernt Rilke 1900 in der Künstlerkolonie Worpswede kennen und lieben. 1901 wird geheiratet, und die Tochter kommt im Dezember desselben Jahres zur Welt.
 
Bereits im August 1902 begibt Rilke nach Paris, wohin ihm Clara nach Auflösung des Haushaltes in Westerwede folgt. Ruth bleibt bei den Großeltern Westhoff in Oberneuland, einem ländlich gelegenen idyllischen Stadtteil von Bremen.
 
Denkbar ist, dass Rilke einem (klein)bürgerlichen Familienleben nichts abgewinnen kann, so dass die Ehe zerbricht. Clara trennt sich von ihrem Mann, kehrt zur Tochter zurück und siedelt mit ihr nach Fischerhude über, wo sie bis zu ihrem Tode 1954 lebt.
 
Gleichwohl verbinden Clara Westhoff und Rainer Maria Rilke bis zum frühen Tod des Dichters 1926 freundschaftliche Bande, und ebenso die Beziehung zwischen Vater und Tochter bleibt einander zugewandt, vertrautvoll und herzlich, wenn „Väterchen" sich Zeit für Ruth nimmt. So erscheint er auch zur Hochzeit der Tochter 1922 mit dem Juristen Carl Sieber.

In Todesjahr der Mutter zieht Ruth dann zurück in das Dorf an der Wümme. Drei Jahre später erinnert sie sich an die verschiedenen Stationen in ihrem Leben.
 

 
Sieben Jahre lang hat sich Erika Schellenberger auf die Spurensuche begeben, in den Rilke-Archiven in Bern und Marbach recherchiert sowie Gespräche mit Ruth Rilkes Stieftochter Uta Addicks geführt, die ihr zudem das Familienarchiv in Fischerhude zugänglich machte. Dadurch erhielt sie für ihr Anliegen beachtenswerte neue Einblicke in bisher unveröffentlichtes Material.
 
„Alles behalten für immer. Ruth Rilke“ ist als autobiografischer Roman in auf Assoziationen beruhender Erzählweise konzipiert und mit vielen Originalzitaten versehen. Die Autorin rückt hierin einerseits persönliche Lebensstationen der Tochter eines berühmtes Dichters und einer Pionierin der Bildhauerei in Deutschland in den Mittelpunkt und  ermöglicht es außerdem, an sehr privaten Szenerien und aufschlussreichen Anekdoten teilzuhaben, die die Eltern nahbar illuminieren. Lediglich die gewählten Zeitsprünge aus der gewählten Rahmenhandlung heraus – Ruth sitzt 1957 hinter ihrem Haus, in dem ihr zweiter Ehemann und Stieftochter Uta am Werk sind, erinnert sich und führt Gespräche mit einem Radiojournalisten – hemmen manchmal eine stringente Lektüre.

Sind allerdings die kleinen Hürden solcher Wechsel genommen, gelingt ein Betrachten des Geschehens und der Ereignisse in durchdringender Weise und Intensität. Die Darstellung fängt die Stimmung ein, in der Ruth das Werk ihres Vater in lebenslanger Hingabe und tiefer Verbundenheit angemessen bewahrt hat. Dafür sei ihr zu danken und Erika Schellenberger, ohne die diese Würdigung nicht stattgefunden hätte.
 
4,5 Sterne
 
 
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Ich danke dem Verlag Ebersbach & Simon für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares und Kirchner Kommunikation für die Vermittlung.
 

Montag, 12. Juni 2023

Ein Stunde an der Ostsee

Wasser und Wellen,
Sonne und Wind,
ein fast menschenleerer Stand ...
 





Montag, 5. Juni 2023

Nur noch bis morgen

Ewigkeiten, also seit ihrer Schulzeit, haben sich die ehemaligen Freundinnen Eva und Franka nicht gesehen.

Eva versucht nach ihrer Scheidung ihr Leben mit ihrer fast sechzehnjährigen Tochter neu zu organisieren und hat eine eigene Praxis für Anti-Ehe-Beratungen gegründet: eine sogenannte Trennungsbegleitung. Zu ihr sollen Menschen kommen, die sich vom Partner trennen möchten und dabei mentale Unterstützung benötigen, damit alles geordnet ablaufen kann. Bislang reichen die wenigen Hilfesuchenden, denen sie Ratschläge erteilt, allerdings nicht aus, um die Kosten zu decken, so dass die finanziellen Mittel an allen Ecken und Enden fehlen. Eva, die sich für die Praxis bei ihrem Ex-Mann Andreas verschuldet hat, möchte aber ihr Herzprojekt nicht aufgeben. Außerdem setzt Andreas sie permanent unter Druck und Evas Mutter erpresst sie mit dem Entzug ohnehin spärlicher Liebe. Das alles mündet in mangelndem Selbstwertgefühl, und Eva trinkt öfter einmal mehr als ein Glas Wein.

Franka hingegen scheint alle ihre Pläne verwirklicht zu haben und genau das Leben zu führen, was sie immer wollte. Und doch stellt gerade sie Überlegungen an, sich von ihrem Ehemann Bastian zu trennen, weil sie meint, den Mann, den sie als ihren allerbesten Freund bezeichnet, nicht mehr zu lieben.

Das sieht Sebastian völlig anders. Er will sich auf keinen Fall trennen, und Eva lässt sich auf ein Treffen mit ihm ein. Weil ihr an ihm etwas vertraut vorkommt. Weil sie neugierig ist. Und als sie ihn kennenlernt, weiß sie, dass sie als Jugendliche in ihn verliebt war und dass Franka denjenigen geheiratet hat, von dem sie damals träumte.

Eva wird erneut von Sebastians Begeisterung und Lebensfreude angesteckt. Es bleibt nicht aus, dass beide Gefühle füreinander entwickeln ...


In „Nur noch bis morgen“ erzählt Martha Simmat mit Verständnis und Empathie die Geschichte von Menschen, die sich unterschiedlichen Herausforderungen in ihrem Leben und in der Liebe stellen müssen und vor kleinen und großen Entscheidungen stehen. Das klingt dramatisch, und ist es zum Teil auch. Tatsächlich liegt zunächst eine gewisse Schwermut über dem Geschehen, die im Verlauf der Handlung unterbrochen, zurückgenommen und vom Druck befreit und letztlich auflöst wird. Martha Simmat würzt die Ereignisse indes auch mit humorvollen Momenten, so dass unbestreitbar tragischen Situationen die Schärfe genommen wird.

Heldin Eva steht überwiegend im Mittelpunkt. Sie hat es gewagt, sich aus der Beziehung mit Andreas, einem Tyrannen, zu lösen, sieht sich nun aber den Konsequenzen ausgesetzt.

Der Autorin gelingt es ohne Zweifel, den Zwiespalt ihrer Protagonistin glaubhaft darzustellen, ihre Traurigkeit, ihrer Tochter nun nicht mehr das angenehme Leben mit Reitunterricht, regelmäßigen Kinobesuchen, einem neuen Handy bieten zu können. Eva strahlt angesichts ihrer Lage anfänglich sehr viel negative Energie aus. Sie fühlt sich unendlich allein und vom Leben ungerecht behandelt. Ergeben sich positive Wendungen, passiert irgendetwas Unvorhergesehenes, das alles wieder zerstört. Deshalb traut Eva ihrem Glück nie.

Erst die Begegnung mit Franka und vor allem die Liebe zu Sebastian bewirken eine Veränderung. Dadurch kann sie Vertrauen zulassen. Vertrauen in ihre Empfindungen. Vertrauen in das Leben, das sie gewählt hat. Vertrauen in sich selbst.

Denn „das Leben (ist) ein Abenteuer ... Das Leben hat nicht irgendein Ziel am Ende vergeudeter Jahre. Das Leben ist das Ziel ... Der Sinn des Lebens ist, das Spiel zu spielen und gut zu spielen – und Spaß zu haben.“
 
 
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Erschienen ist der Roman in der  Verlagsgruppe Droemer Knaur, dem ich für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares danke. Ebenso danke ich der Autorin für die Vermittlung.