Ruth
Rilke hat die Erinnerungen an ihren Vater, den Dichter Rainer Maria Rilke,
immer hochgehalten, obwohl die Zeit, die sie – auch wegen der frühen Trennung
der Eltern – gemeinsam mit ihm verbrachte, gering bemessen war.
Überhaupt
wissen recht wenige, dass Rilke eine Tochter hatte. In der öffentlichen Betrachtung
ist ihr Bild blass geblieben, und es ist der Literaturwissenschaftlerin Erika
Schellenberger zu verdanken, dass dies in „Alles behalten für immer. Ruth Rilke“
mittels behutsamer und aufklärender Annäherung korrigiert und Ruth Rilke als
Hüterin des Nachlasses ihres Vaters die ihr zustehende Aufmerksamkeit und
Anerkennung verschafft wird.
Doch
Ruth Rilke ist nicht nur die Tochter eines bedeutenden Vaters, sondern auch
einer ebensolchen Mutter: die bekannte Bildhauerin und Malerin Clara Westhoff. Diese lernt Rilke 1900 in der Künstlerkolonie Worpswede kennen und lieben.
1901 wird geheiratet, und die Tochter kommt im Dezember desselben Jahres zur
Welt.
Bereits
im August 1902 begibt Rilke nach Paris, wohin ihm Clara nach Auflösung des
Haushaltes in Westerwede folgt. Ruth bleibt bei den Großeltern Westhoff in
Oberneuland, einem ländlich gelegenen idyllischen
Stadtteil von Bremen.
Denkbar ist, dass Rilke einem (klein)bürgerlichen Familienleben nichts abgewinnen kann,
so dass die Ehe zerbricht. Clara trennt sich von ihrem Mann, kehrt zur Tochter
zurück und siedelt mit ihr nach Fischerhude über, wo sie bis zu ihrem Tode 1954
lebt.
Gleichwohl verbinden Clara Westhoff und Rainer Maria Rilke bis zum frühen
Tod des Dichters 1926 freundschaftliche Bande, und ebenso die Beziehung zwischen Vater
und Tochter bleibt einander zugewandt, vertrautvoll und herzlich, wenn „Väterchen" sich Zeit für Ruth nimmt. So erscheint er auch zur Hochzeit der
Tochter 1922 mit dem Juristen Carl Sieber.
In
Todesjahr der Mutter zieht Ruth dann zurück in das Dorf an der Wümme. Drei
Jahre später erinnert sie sich an die verschiedenen Stationen in ihrem Leben.
Sieben
Jahre lang hat sich Erika Schellenberger auf die Spurensuche begeben, in den Rilke-Archiven
in Bern und Marbach recherchiert sowie Gespräche mit Ruth Rilkes Stieftochter
Uta Addicks geführt, die ihr zudem das Familienarchiv in Fischerhude zugänglich
machte. Dadurch erhielt sie für ihr Anliegen beachtenswerte neue Einblicke in bisher
unveröffentlichtes Material.
„Alles
behalten für immer. Ruth Rilke“ ist als autobiografischer Roman in auf
Assoziationen beruhender Erzählweise konzipiert und mit vielen Originalzitaten versehen.
Die Autorin rückt hierin einerseits persönliche Lebensstationen der
Tochter eines berühmtes Dichters und einer Pionierin der Bildhauerei in
Deutschland in den Mittelpunkt und ermöglicht
es außerdem, an sehr privaten Szenerien und aufschlussreichen Anekdoten teilzuhaben,
die die Eltern nahbar illuminieren. Lediglich die gewählten Zeitsprünge aus der
gewählten Rahmenhandlung heraus – Ruth sitzt 1957 hinter ihrem Haus, in dem ihr
zweiter Ehemann und Stieftochter Uta am Werk sind, erinnert sich und führt
Gespräche mit einem Radiojournalisten – hemmen manchmal eine stringente Lektüre.
Sind
allerdings die kleinen Hürden solcher Wechsel genommen, gelingt ein Betrachten des
Geschehens und der Ereignisse in durchdringender Weise und Intensität. Die
Darstellung fängt die Stimmung ein, in der Ruth das Werk ihres Vater in lebenslanger
Hingabe und tiefer Verbundenheit angemessen bewahrt hat. Dafür sei ihr zu
danken und Erika Schellenberger, ohne die diese Würdigung nicht stattgefunden
hätte.
4,5 Sterne
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Ich danke dem Verlag Ebersbach & Simon für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares und Kirchner Kommunikation für die Vermittlung.
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