1618 werden die königlichen Statthalter der katholischen Habsburger
vom böhmischen Adel in der Prager Burg aus dem Fenster geworfen, nachdem die
Beschlüsse des Augsburger Religionsfriedens von 1555 mehr und mehr unterlaufen
worden waren und die Auflösung der Versammlung der protestantischen Stände das
Fass zum Überlaufen gebracht hatte.
Seitdem herrscht nicht nur in Böhmen Krieg, sondern auch im Süden
Deutschlands. Deshalb steht die erste, rein zufällige Begegnung von Silas von
Maringer und Gräfin Alexandrine von Taxis im Jahr 1623 unter keinem guten
Stern. Abgesehen davon, dass Alexandrine verheiratet ist, gilt Silas als Sohn
des Oberstallmeisters des Kurfürsten von Mainz von niederem Adel und ist zudem
vierzehn Jahre jünger. Indes soll dieses Treffen für beide von Bedeutung für
ihr restliches Leben haben, denn beide spüren die gegenseitige Anziehung und
beginnende Zuneigung.
Als Alexandrines Ehemann Leonhard stirbt, übernimmt sie das Amt der
Generalpostmeisterin, um ihrem Sohn Lamoral das Erbe bis zu dessen
Volljährigkeit zu sichern, allerdings unter der Bedingung, dass sie sich bis
zu diesem Zeitpunkt nicht erneut vermählt. Damit scheint schon allein aus diesem Grund eine
gemeinsame Zukunft der beiden in weiter Ferne zu liegen.
Während sich Alexandrine um den Erhalt der Poststationen und Routen
sowie deren Ausbau kümmert, verlässt Silas seine Familie und die Heimat, geht seinen
eigenen Weg und stellt sich neuen Herausforderungen, bis er eines Tages endlich
als Reiter in Alexandrines Dienstes tritt. Doch dann kehrt er von einem
Auftrag nicht zurück, und Alexandrine bemerkt in Bangen und Ängsten, wie viel
ihr der junge Mann tatsächlich bedeutet …
Mit „Das Erbe derer von Thurn und Taxis“ rückt Johanna von Wild eine
ungewöhnliche Thematik in den Mittelpunkt: das damalige Postwesen und die
Probleme und Herausforderungen, die während des Dreißigjährigen Krieges und der hiermit verbundenen, sich häufig ändernden Situation einhergingen.
Darüber hinaus vermittelt die Autorin in verständlicher Weise, erzählerischer
Dichte und sprachlicher Gewandtheit einen detaillierten Abriss der
historischen Ereignisse, die nicht nur eine allumfassende Recherche offenbaren,
sondern auch Grundlage für die Einbindung ihrer Figuren in das Geschehen bilden.
Verschiedene Wechsel erlauben Einblicke in die Leben der Hauptfiguren während
der Zeit des Krieges mit seinen diversen Schlachten anlässlich der
Auseinandersetzungen um den wahren Glauben zwischen Katholischer Liga und
Protestantischer Union und die Machtkämpfe der gekrönten Häupter. Insofern gelingt
es der Autorin, im Handlungsverlauf Episoden voller Anschaulichkeit, Kontraste und Emotionen wiederzugeben.
Besonders in der Schilderung der persönlichen Schicksale der Menschen inmitten
der großen Umwälzungen, die Tod, Hunger, Krankheiten und folglich Leid und Elend
brachten, sind die Ausführungen äußerst bildwirksam und intensiv, ja zum Teil drastisch.
Die nachhaltige Darstellung trifft so das Innere des Lesers, im Wesentlichen allem bei
der Beschreibung von Grausamkeiten.
Neben den realen Persönlichkeiten hat Johanna von Wild facettenreiche
Charaktere erdacht und mit Stärken und Schwächen ausgestattet, so dass sie in
ihrer Entwicklung bei der Verwirklichung der Ziele manchmal Fragen aufwerfen, jedoch gerade aus diesem Grund authentisch wirken. Hier sind vorrangig auch die Nebenfiguren
zu erwähnen, denen sich die Autorin mit gleichwertiger Begeisterung gewidmet
hat wie ihren Hauptprotagonisten.
Gräfin Alexandrine von Taxis ist eine historische Persönlichkeit, die
– für ihre Zeit ungewöhnlich –
Unterstützerin ihres Ehemannes gewesen ist und deswegen auch von ihm mit der
Sicherung des Erbes für den Sohn Lamoral betraut wurde. Schon allein das ist
bemerkenswert. Es eröffnet uns die Aussicht auf eine Frau der Willenskraft und des Könnens sowie des Vermögens, Augenmerk auf die entscheidenden Dinge zu legen. Eine Frau
und Mutter, die sich nicht zu schade dafür ist, für das Erbe ihres Sohnes alles
auf sich zu nehmen.
Alexandrines Spur in der Historie verliert sich, nachdem Lamo
die Geschicke der Post weiterführt. Somit ist der Autorin möglich gewesen, ihre
Fantasie spielen und Alexandrine eine Liebe zum fiktiven Silas erleben zu
lassen.
Überhaupt Silas. Es fällt beileibe nicht schwer, ihn zu mögen. Er
liebt Pferde, und vor allem mit Nabil, seinem treuen Begleiter auf den wahrlich
abenteuerlichen Wegen, bildet er eine Einheit. Sein Selbstbewusstsein und Loyalität
zeichnen ihn aus und erlauben es uns, für ihn trotz seines gelegentlichen
Wagemuts das Beste zu hoffen.
Johanna von Wild überzeugt mit der Liebesgeschichte zwischen
Alexandrine und Silas, weil sie sie sehr zurückgenommen, aber mit feiner
Zartheit innerhalb der dramatischen Vorkommnisse erzählt. So wird „Das Erbe derer
von Thurn und Taxis“ zu einem historischem Roman, der mit seiner ungewöhnlichen
Geschichte ausgezeichnete Lesestunden bietet.
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Ich danke dem Gmeiner Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares und der Autorin für die Vermittlung.
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