Donnerstag, 23. April 2015

Zum Welttag des Buches...

... kann ich euch heute zwar keine Verlosung präsentieren, habe aber trotzdem etwas Besonderes. Ich bekam nämlich Post:

Bester Freund,

ich habe schon einige Male die Feder zur Hand genommen, ohne dir - wie es mein Gedanke war - gleich zu schreiben.

Ich bin allein und freue mich meines Lebens in dieser Gegend, die für solche Seelen geschaffen ist wie die meine. Ich bin so glücklich, mein Bester, so ganz in dem Gefühle von ruhigem Dasein versunken, daß meine Kunst darunter leidet. 

Denn in den letzten Tagen ist viel geschehen.

Doch zunächst einmal: Die hehre Gilde der Buchspringer auf der Insel Stormsay, die hier seit Jahrhunderten für den Schutz der Literatur sorgt, hat Zuwachs bekommen. Fräulein Amy aus dem Clan der Lennox.  Es ist mir vergönnt gewesen, sie gleich am ersten Tag, an dem sie das Dschungelbuch in der Buchwelt besuchte, kennenzulernen. Ich muss zu meiner Schande gestehen, sie hat mich vor den drei Hexen aus Macbeth retten müssen.

Aber nicht nur deshalb habe ich sie ein klein wenig in mein Herz geschlossen, (wobei sie natürlich nie meine Lotte wird verdrängen können). Das Fräulein Amy ist so begabt und sieht bezaubernd aus in ihrer grazilen Anmut. Tatsächlich durfte ich ihr schon meinen Arm zum Geleit reichen und sie - echter Kavalier, der ich bin - durch das unwegsame Gelände führen. Ein böser Mensch würde behaupten, dass wir beide gemeinsam unbeholfen über Wurzeln stolperten und uns auf den engen Trampelpfaden gegenseitig auf die Füße traten. Aber ich weiß, du bist keiner dieser verächtlich redenden Personen, die solcherart über eine junge Dame und ihren Begleiter herfallen. Das hat das Fräulein Amy in ihrer Welt zur Genüge erlebt. Ich wünschte, ich könnte diese Personen zu einem Duell auf Pistolen fordern, wenn ich nicht wüsste, dass mein Mut dafür leider nicht ausreicht...

Jedoch törichte Gedanken darüber erlaube ich mir nicht, weil ich die Buchwelt nicht verlassen werde. Außerdem:

Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele eingenommen, gleich den süßen Frühlingsmorgen, die ich mit ganzem Herzen genieße.

Das Fräulein Amy ist so wissbegierig und erinnert sehr an ihre Frau Mama, als diese noch die Buchwelt mit ihrer Anwesenheit beglückte. Die edle, wenn gleichwohl unglückliche Anna Karenina sagte mir erst letztens bei unserer Begegnung in der "Zeile" - du weißt, es ist der Ort, an es uns Buchfiguren gestattet ist, uns mit anderen zu treffen... Also, sie erinnerte sich wehmütig an ihre wunderbare Freundschaft mit Fräulein Alexis, und sie bedauert es heute noch mit Wehmut, dass diese eines Tages fortblieb. Wobei mir Anna Karenina im Vertrauen offenbarte, was der Grund für die Flucht von der Insel der Buchspringer gewesen ist. Als Herr von Anstand habe ich ihr natürlich strengste Geheimhaltung zugesichert.

Schweife ich ab? Sieh es mir nach, lieber Freund. Dabei ist das Leben derzeit so aufregend, dass ich mich gar oft daran erinnern muss, mein eigenes Ende, das ich ja selbst so gewollt habe, nicht zu verpassen.

Ich will, lieber Freund, ich verspreche dir's, ich will mich bessern, will nicht mehr ein bißchen Übel, das uns das Schicksal vorlegt, wiederkäuen, wie ich's immer getan habe; ich will das Gegenwärtige genießen, und das Vergangene soll mir vergangen sein. 

Doch es hat sich etwas Schreckliches zugetragen. Sherlock Holmes, dieser überragende Detektiv, ist tot. Das Fräulein Amy fand ihn gemeinsam mit dem jungen Macalister. Was muss das für einen Schock gewesen sein. Master Will, wie Sherlock Holmes ihn nannte, betrachtete sich als besten Freund des Meisterdetektivs und ermöglichte ihm so manchen Gang in die Draußenwelt. Um so bedauerlicher ist, dass Holmes dort zu Tode kam. Wer nur wollte sein Ableben? Er hatte außerhalb seines Buches keine Feinde, war zwar etwas eigen, zugegebenermaßen, aber ein brillanter Kopf.

Damit nicht genug. Unerklärliche Ereignisse erschüttern die Buchwelt. Ein Dieb ist hier unterwegs, und dank meiner, ich darf sagen, nicht unbescheidenen geistigen Fähigkeiten, die selbstverständlich hinter denen vom großen Sherlock Holmes zurückstehen, gelang mir die Erkenntnis, dass dieser gemeine Dieb die Ideen aus verschiedenen Büchern stiehlt, ohne die die Bücher nicht existieren können.

Du verstehst, teurer Freund, dass ich Fräulein Amy sofort meine tatkräftige Unterstützung bei der Lösung dieses Problems angeboten habe. Voller Stolz kann ich dir schreiben, dass sie dieses Offerte dankend angenommen hat. Und so konnte ich als treuer Freund bereits einen schlichten Betrag leisten und erstellte eine Liste der verlorenen Rudimente.

Seit der Zeit bin ich oft draußen.

Ich habe keine Ruhe, mich in meiner Kammer meiner Kunst zu widmen, wenn Geheimnisvolles in der Buchwelt geschieht.

Übrigens befinde ich mich hier gar wohl.

Denn meinem Geschick ist es zu verdanken, dass wir uns einmal der Ergreifung des Dieb so nahe wähnte. Leider gelang dies dann doch nicht. Er entkam uns, was Fräulein Amy und mich sehr betrübt.

Und zudem quält mich - du wirst behaupten unsinnigerweise - der Gedanke, dass auch der junge Herr Will dem Fräulein Amy seine Hilfe zugesichert hat. Ich habe ihre liebevollen, sehnsüchtigen Blicke, die mir äußerst vertraut sind, bemerkt, als sie von ihm sprach. Ich gebe zu, Malalister ist ein formidabler junger Mann. Andererseits wäre ich entzückt, wenn die Bewunderung Fräulein Amys allein meiner Person gelten würde...

Jetzt muss ich eilen, bester Freund. Meine Anwesenheit wird benötigt.

Dir in der Ordnung zu erzählen, wie's zugegangen ist, daß ich eins der liebenswürdigsten Geschöpfe habe kennen lernen, wird schwer halten. Ich bin vergnügt und glücklich, und also kein guter Historienschreiber.

Jedoch ich sichere dir schon jetzt einen einen wohlfeil geschliffenen, bestimmt auch in seinen Wendungen und Ergebnissen überraschenden, gleichwohl stets unterhaltsamen, mit Poesie erfüllten und fantasievollen Bericht über aufwühlende und gefährliche Abenteuer zu, wenn das wundervolle Fräulein Amy und ich das mysteriöse Rätsel gelöst haben. Wünsche uns Glück!

Dein treuer Freund

Werther


P. S. Werther zitiert sich selbst (aus "Die Leiden des jungen Werther" von Johann Wolfgang von Goethe) und schreibt über "Die Buchspringer" von Mechthild Gläser.

4 Kommentare:

  1. Liebe Anke,

    so kommen die Klassiker zur Geltung.
    Besten Dank für deinen aufschlussreichen Post.

    Sonnige Grüße
    Elisabeth

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  3. Werther ist immer wieder Inspiration :).
    LG aus dem Norden

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  4. Ja, diese alte Schrift - ist wundervoll anzuschauen, aber doch anstrengend zu lesen. Ich hab' noch ein paar alte Bücher, die nicht nur schön anzusehen sind ... sondern auch was den Inhalt betrifft ... nehme ich immer einmal wieder zur Hand ... und komme doch nie ganz durch .... eigentlich schade ... man hat sich so an die Druckschrift gewöhnt. ;-)

    Viel Freude beim Lesen und liebe Grüße zum Sonntag
    Sara

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