Bei
einer Explosion eines Mehrfamilienhauses im oberösterreichischen
Steyr werden zehn Frauen und Männer erdrückt, erstickt und
verbrannt. Unter ihnen befinden sich der Taxifahrer Mario Heuberger
und seine Frau Gerlinde. Obwohl Heuberger kurz zuvor auf der Suche
nach einer ganz bestimmten Person das Haus umrundet hatte, konnte er
das Unglück nicht mehr verhindert.
Noch
zwei Kilometer entfernt ist die Erschütterung zu spüren, so dass
auch Christian Wolf, seines Zeichens Journalist, davon etwas
mitbekommt und auf das Geschehen aufmerksam wird.
Hat der junge Peter Reich vielleicht etwas mit der Detonation zu tun? Er ist psychisch krank, leidet am Savant-Syndrom und hatte zuvor eine Zahlenreihe an die Wand des betroffenen Hauses gesprüht und dieses Vorgehen später an anderer Stelle wiederholt. Sind diese Ziffern eventuell ein Schlüssel zur Identität des Täters?
Dieser scheint sein Ziel jedoch nicht erreicht zu haben, denn es gibt weitere Tote: eine Frau verstirbt an einem
vermeintlichen Insektenstich, eine andere Frau wird Opfer eines Brandanschlags, zudem nimmt sich Wolfs Hausarzt Dr. Schuller ganz unerwartet das Leben. Aber noch immer sind es nicht
die letzten Toten...
J.
J. Preyer legt mit „Mörderseele“ einen
„musikalisch-literarischen
Psychothriller“ vor,
der in seiner Heimatstadt angesiedelt ist. Von Anfang an wird
deutlich, dass sich der Autor in Steyr bestens auskennt. Seine
detaillierten Beschreibungen machen es dem Leser möglich, sich die
Örtlichkeiten vorzustellen und den Wegen der
Protagonisten zu folgen.
Preyer
hat einen bedächtigen und entschleunigten Erzählstil. Zwar explodiert
es gleich zu Beginn gewaltig, und mehrere Tote folgen im weiteren
Verlauf der Handlung. Doch verlässt der Autor nicht den
eingeschlagenen Weg, baut verhalten und behutsam Spannung auf und
legt vor allem Augenmerk
auf
die Gestaltung und das (Seelen)Leben seiner Figuren. Er bietet dem
Leser nicht nur Einblicke in die Gedankenwelt von Christian Wolf, sondern außerdem in die des Täters. Warum er allerdings
TÄTER und FALL immer in Großbuchstaben schreibt, erschließt sich
nicht in Gänze. Es ist nur zu vermuten, dass dies eine besondere Bedeutung für Wolf darstellen soll. Denn den Journalisten Christian Wolf rückt der Autor in den Mittelpunkt der Geschichte und schildert ausführlich dessen
Überlegungen und Empfindungen.
Der
58-Jährige folgt einem hohen Berufsethos: Danach muss man
zwar wissen, wie man an Informationen herankommt, muss diese dann wie ein Arzt seine Patienten sorgfältig behandelt. Er steht
kurz vor seiner (ungewollten) Pensionierung, ein potentieller
Nachfolger wurde ihm bereits an die Seite gestellt. Es fällt auf,
dass Wolf – wenn er sich einmal eine Meinung über einen Menschen
gebildet hat – nur schwer von dieser abrücken kann. So ist Joachim
Waidinger für ihn anfänglich
der
Typ „smarter“ Journalist, zwar
gutaussehend, aber wendig und mit
zwei großen Fehlern ausgestattet:
Er hat keinen Charakter, und er leidet an einer Art Hautkrankheit,
kratzt er sich doch ständig an seinen entzündeten Unterarmen und
Handrücken. Wolf kann Waidinger gar nicht leiden, und als er
miterlebt, wie dieser Kontakte zu seiner Tochter Lotte knüpft,
ist es für ihn wahrscheinlich auch ein Grund dafür, ihn in den
Kreis der Tatverdächtigen aufzunehmen und über die Vorgeschichte
seines Kollegen zu recherchieren.
„Der
Schlüssel zu allem liegt in der Vergangenheit.“ (Seite 111)
Nicht
nur mit der Tatsache, beruflich aufs Abstellgleis geschoben zu
werden, hat Wolf zu kämpfen. Ihn plagen zudem private Probleme: Vor
zwei Jahren verschwand sein Vater spurlos, seine Mutter – eine
bekannte Schriftstellerin – starb ein halbes Jahr später. Nun
findet Wolf unter ihren Werken ein bislang unveröffentlichtes
Manuskript. Beim Lesen stellt Wolf fest, dass dieses autobiografische
Szenen aus seiner Kindheit und seinem Leben enthält. Er begreift,
dass sich alles veränderte, als sein Bruder Klaus geboren wurde.
Nicht nur seine Eltern hatten von diesem Tag an Schwierigkeiten im
Umgang miteinander. Auch die Beziehung der Brüder ist bis in die
Gegenwart problematisch, Wolf selbst stört die bloße Existenz von
Klaus.
Nun
drängt sich mit Macht die Vergangenheit in sein Leben, und Wolf will unter anderem endlich herausfinden, was mit seinem verschwundenen Vater geschah.
"Zwillinge
im Geiste" (Seite 155)
Wirklich
wichtig ist Wolf die seit den Kindertagen bestehende
Freundschaft zu Viktor Grimm, der bei der Steyrer Polizei arbeitet.
Die beiden unterscheidet einiges. Grimm scheint kein Mann für Frauen zu sein, sein Freund hat ihn jedenfalls noch nie in weiblicher Begleitung gesehen.
Wolf ist Witwer und pflegt eine lockere Beziehung zu Lena Konrad, einer Freundin von Wolfs verstorbener Frau, mit der er sich wöchentlich trifft, für die er jedoch keine tieferen Gefühle entwickelt, weil sie im Grunde nicht zusammenpassen. Und hier findet sich endlich das musikalische Element des Romans. Lena spielt Cello und verwendet einen sogenannten „Wolfstöter“ als Dämpfer, um unerwünschte Töne, die Wolfstöne, zu unterdrücken, wenn sie mit ihrem Instrument Stücke spielt, die eigentlich für das Arpeggione (eine Mischung aus Gitarre und Streichinstrument) geschrieben wurden.
Chefinspektor Grimm hat ein Desorganisationsproblem und hortet – in seinem Haus in der Regel unbrauchbares – Material. Wolf hat von seinem Vater dagegen gelernt, dass Ordnung hilft, im Chaos des Lebens zu bestehen. Ein Grund für Grimm, ihn immer wieder um Mithilfe bei der Lösung von Fällen zu bitten. Denn Grimm sammelt nicht nur Müll in seinem vier Wänden, sondern auch Informationen, die ihn irgendwann überwältigen, so dass er nicht mehr zwischen Wichtig und Unwichtig unterscheiden kann. Dafür benötigt er seinen Freund Wolf. Von Vorteil ist außerdem, dass Wolf, wenn er einmal eine Spur aufgenommen hat, nicht lockerlässt. Schlussendlich bilden die beiden so ein hervorragendes Team bei der Aufklärung von Fällen.
Obwohl
sich die beiden also gar nicht ähnlich sind, weder im Aussehen noch im Wesen, wirken sie wie Zwillingsbrüder, die einander ergänzen. Hier hat der Autor den
Zusammenhalt seiner Protagonisten auch namentlich manifestiert: Wolf
und (Ise)Grim(m).
"Wenn man meint, jemanden zu durchschauen, schaut man tatsächlich durch ihn hindurch." (Seite 182)
Wolf dringt immer tiefer in den Fall ein. Er verdächtigt viele Personen, bis er sich ziemlich klar ist, wer der Täter ist, weil er ihn bis in den Kern seiner Persönlichkeit zu kennen glaubt, ihm nahe ist. Dem Leser ist es dank seiner zum Teil philosophischen Überlegungen, die manchmal unnötig in die Tiefe gehen, und mit Hilfe der Gedankensplitter des Täters möglich, auf eine angenehme und kluge Art und Weise Schlussfolgerungen zu ziehen und selbst ein Täterbild zu schaffen.
Liebe Anke,
AntwortenLöschendeine Buchbesprechung ist beeindruckend.
Sonnige Grüße
Elisabeth
Liebe Anke,
AntwortenLöschendas hört sich nach einem spannenden und lesenswerten Buch an. Danke für die Vorstellung!
Herzliche Grüsse,
Nadia
Liebe Anke,
AntwortenLöschenein sehr schöner und aussagekräftiger Beitrag. Ich bin mir jedoch nicht ganz sicher, ob dieses Buch auf meinem SuB landen sollte. Ich bleibe sehr gern als Leserin hier, denn hier gibt es facettenreiche Beiträge, total klasse.
Sei ganz lieb gegrüßt.