Mittwoch, 26. August 2020

Rezensionswoche 4. Tag: Iugulus

Als Hauptkommissar Karl Seitz und Kommissarin Maria Strobl zu einem Mord gerufen werden, können sie nur ahnen, dass dem gesteinigte Opfer weitere folgen werden. Eine Verbindung zwischen den Getöteten ist nicht auszumachen, und auch das Motiv bleibt zunächst im Dunkeln. Aber der Täter offenbart eine Affinität zur uralten Hinrichtungspraktiken, die bereits zu Zeiten Jesu angewandt wurden.

Die Nachforschungen gestalten sich schwierig, wofür auch Karl Seitz verantwortlich ist. Denn Nettigkeit ist keine von seinen Eigenschaften, mit der Kollegen und Kriminelle den Hauptkommissar der Münchener Mordkommission als Erstes bezeichnen würden. Vielmehr trifft es „aufbrausend und bissiger als ein Yorkshire Terrier“ schon eher, und seine Launen sind gefürchtet. Nicht nur seit sich vor ein paar Wochen seine ehemalige Mitarbeiterin Katrin Fischbach versetzen lassen hat. Die kompetente, rationale und vor allem freundliche Kollegin bildete mit Seitz ein perfektes Duo mit hoher Aufklärungsquote bei ihren gemeinsamen Fällen und eine Art Sicherung für den zu Extremen neigenden Hauptkommissar. Doch nicht allein die Arbeit macht diesem zu schaffen. Auch in seinem Privatleben sind einige Minen vergraben. Seit zwei Jahren ist von einem Tag auf den anderen seine Ehefrau Anja verschwunden. Die Liebe seines Lebens hat ihm Halt und Kraft gegeben.

Sentenz von Nitzsche: Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein...
Der Abgrund blickte in Karl hinein, weil er zu lange in das Loch gestarrt hatte, das Anjas Verschwinden gerissen hatte. Was ihm dieses lichtlose, schmerzhafte Nichts nahm, wurde durch Wut ersetzt. Heiße, jähe Wut, die ihn aus dem Hinterhalt überfiel und niederrang.“ (Seite 134)

Nun muss er mit seiner neuen Kollegin Maria klarkommen, oder besser, sie mit ihm (aus oben erwähnten Gründen). Während Karl Seitz bald ihr Potential erkennt, nähern sie sich Schritt für Schritt dem Täter...


Peter Hohmann verdeutlicht in „Iugulus“, dass er ein fähiger Erzähler ist, der seine gegenwärtige Handlung mit Ein- und Rückblicken in die Gedankenwelt des Täters paart und mit einem wechselhaften Spannungsbogen untermalt. So wie Höhen und Tiefen die Tage, Wochen und Monaten von Karl Seitz prägen, gleicht auch die Geschichte einer Berg- und Talfahrt, die mit vielen Geheimnissen beginnt, die es im Verlauf des Geschehens zu lösen gibt.

Sprachlich punktet der Autor mit einer überzeugenden Bildgewalt, die insbesondere an den Tatorten zum Tragen kommt. Hier nimmt Peter Hohmann wahrlich kein Blatt vor den Mund. Das macht das Geschehen aber weitgehend eindrucksvoll und beschert beim Lesen durchaus schauriges Frösteln. Zum Ausgleich wird dem Leser die Lektüre allerdings daneben mit einigen komischen Szenen und Dialogen versüßt.

Peter Hohmann gelingt eine feingezeichnete authentische Charakterisierung seiner Figuren, wodurch die Schilderung der Ereignisse durchweg nachvollzogen werden kann. Besonders mit seiner Hauptfigur hat der Autor Mut bewiesen und ihn aus der Masse der üblichen Kriminalisten herausgehoben. Erscheint Karl Seitz anfänglich noch als launenhafter „Kotzbrocken“ sondergleichen, entwickelt sich im Verlauf des Geschehens nach und nach Verständnis für den derzeit alleinerziehenden Vater, befindet er sich doch mehrfach in der Bredouille:

Der unorthodoxe, äußerst sperrige, indes auf seine Art geniale Ermittler leidet unter dem Verlust seiner Frau und versinkt in grausam pulsierender Schwärze, weil deren spurloses Verschwinden und die damit einhergehende Realität - entweder der Tod oder die Flucht aus ihrem alten Leben – nicht greifbar für ihn ist. Er klammert sich an die Hoffnung, (oder ist es Selbstgeißelung?), dass Anja noch am Leben ist und irgendwo gefangen gehalten wird. Und so forstet er jeden Freitag die Vermisstenanzeigen durch.

Außerdem bereiten seine Kinder ihm Sorgen: Die pubertierende Tochter freundet sich mit einem Drogensüchtigen, und die sonst unproblematische Beziehung zum neunzehnjährigen Sohn läuft ebenfalls aus dem Ruder.

Gerade die innere Zerrissenheit und Hilflosigkeit seines Protagonisten vermag Peter Hohmann auf einfühlsame Weise zu vermitteln, so dass erkennbar wird, was für ein trauriger Mensch Karl Seitz tatsächlich ist. Dem ich darum mehr Balance wünsche, vielleicht beim nächsten Fall...

4,5 Sterne


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Ich danke dem Autor für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares.

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