Montag, 3. Februar 2025

Verlagstage - Kanon Verlag: Hof

©kanonverlag

Tue lebt mit seiner Familie auf einem Hof tief im Landesinneren von Dänemark, weit hinter der Stadt, eingequetscht zwischen unzähligen, anderen unbedeutenden Dörfern. Aus seiner Sicht ist es ein Vorort der Finsternis, wo sich niemand längere Zeit aufhalten sollte.

Was wird aus einem, wenn er es muss? 

Tue ist der älteste von drei Geschwistern. Sein Vater Lars betreibt Landwirtschaft im Nebenerwerb und versucht sich an einer Hundezucht. Trotzdem ist der Hof hoch verschuldet, das Geld fehlt an allen Ecken und ohne die finanzielle Unterstützung vom Onkel Chresten wäre die Lage noch miserabler. Auch die Arbeit von Mutter Lonny in der Fensterfabrik trägt nur mittelmäßig zur Verbesserung der familiären Situation bei. Alles in allem ist es zum Leben zu wenig, aber zum Sterben zu viel.

Als Tues Mutter das vierte Kind tot zur Welt bringt, kann sie den Verlust der kleinen Stine nicht verwinden und versinkt in Schwermut. Sie schläft viel, und sobald sie wach ist, sitzt sie vor dem Computer und spielt Online-Poker.

Die Depression der Mutter belastet die gesamte Familie. Die Geschwister sind sich selbst überlassen, Erziehung findet im Grunde nicht statt. Und die Familie driftet immer mehr in das wirtschaftliche Chaos und soziale Abseits ab.

Es war, als wäre der Tod ein Teil von mir, obwohl ich noch nicht besonders alt war. Irgendwie war er immer da ...“

Tue fühlt Hoffnungslosigkeit und träumt zwischen acht Hunden im Haus, Tierkadavern und dem Klauen von Kupferkabeln von einer neuen Familie, Die, zu der er gehört, ist anders, und er schämt sich dafür.

Doch nicht allein auf dem Hof verspürt er Unwohlsein, sondern auch in der Schule, wo er den harmlosen Klassenclown spielt, gemobbt wird und keine richtigen Freunde hat.

Im Laufe der Zeit wächst seine Sehnsucht nach mehr, er entdeckt sein Interesse am eigenen Geschlecht, knüpft freundschaftliche Bande und hat sogar die Chance, das Gymnasium zu besuchen ...


Thomas Korsgaard, Jahrgang 1995, schrieb seinen ersten Roman „Hof“ mit gerade mal 21 Jahren, und erzählt darin mit Empathie die von der eigenen Vergangenheit inspirierte Geschichte der problematischen Kindheit und Jugend seines Protagonisten. Tue, dem wir über einen Zeitraum von mehreren Jahren, beginnend im Alter von zwölf, folgen, berichtet aus der Ich-Position in Episoden über die Ereignisse, ohne dass es einen konkreten Handlungsablauf gibt.

Das ist durchaus irritierend, weil hierdurch nicht klar wird, in welcher Zeit wir uns gerade bewegen, wenn wir die Entwicklung von Tue begleiten.

Hof“ braucht den Vergleich mit Romanen, in denen dysfunktionale Familienbeziehungen geschildert werden, nicht zu scheuen. Der junge Autor legt eine sprachlich zwar nicht in Gänze herausragende, aber gut lesbare Darstellung einer Familie im sozialen Abseits vor. Gleichwohl soll nicht unerwähnt bleiben, dass das Schicksal der Familie – mit Geradlinigkeit und ohne Schnörkel in einer Mischung aus Ernst und Tragikkomik geschildert – empfindsamen Lesern zusetzen dürften, ist es jedoch oft sehr deprimierend und durchzogen mit abstoßenden Szenen.

Außerdem komme ich nicht umhin zu erwähnen, dass das Debüt von Thomas Korsgaard auch auf mich im Grundton insgesamt traurig wirkt, zumal Tue das Dasein meist grau und aussichtslos erscheint.

Vordergründig ist „Hof“ die Geschichte der Beziehung eines Jungen zu seinem Vater. Einem Mann, der weder die Krankheit seiner Frau erkennt, geschweige denn versteht. Einer, der unzuverlässig ist, lethargisch, gerade kein Vorbild, ohne Interesse für die Bedürfnisse der Familie.

Es ist der Wechsel zwischen unvorhersehbaren Gewaltausbrüchen, besonders nach dem Konsum großer Mengen Alkohol, und den liebevoll aussehenden Gefühlsbekundungen, die Tue in einen Zwiespalt aus Hilfslosigkeit, Unsicherheit und Beschämung führen. Der Junge reagiert mit Streichen und Fehlverhalten, auf die Geschrei, Demütigungen, Herabwürdigungen und erneute Zurückweisungen folgen, ohne dass ermahnende Worte und ernst gemeinte Gespräche stattfinden.

Es wundert nicht, dass Tue sich in seinen dunkelsten Momenten den Tod des Vaters vorstellt.

Manchmal entsteht der Eindruck, dass Lars und Lonny versuchen, ihre drei Kinder zu lieben und zu erziehen, dazu aber nicht in der Lage sind, weil sie nicht über die emotionalen und finanziellen Mittel verfügen.

Wie soll es dann Tue und seinen Geschwistern gelingen, eine eigene (Mit)Gefühlswelt zu entfalten?

Hof“ ist eine Lektüre, die mich in Teilen grundsätzlich berührt, allerdings auch abgeschreckt hat. Im ersten Teil der Tue-Trilogie lässt Thomas Korsgaard einen winzigen Hoffnungsschimmer zu, dass es für seinen Helden funktionieren könnte, einen Weg losgelöst von den Umständen in der Familie einzuschlagen. Es bleibt abzuwarten, wie es in „Stadt“ weitergeht. 

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Der Roman ist im Kanon Verlag erschienen, dem ich für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares danke.