Freitag, 3. November 2017

Begegnungen

In „Slawa und seine Frauen“ erzählt Felix Stephan eine wahre Geschichte. Eine über seinen Großvater Slawa. Und irgendwie auch über seine Mutter, dessen Tochter. Denn die findet als Fünfzehnjährige heraus, dass der Mann ihrer Mutter nicht ihr leiblicher Vater ist. Vielmehr stammt sie aus einer Beziehung zu eben jenem Slawa, Wjatscheslaw Falbusch, einem ukrainischen Juden, der ein charakterloser Mann gewesen sein soll und sich – angeblich – nicht eine Sekunde um seine Tochter bemüht habe.

Es dauert unter anderem aus diesem Grund (ein weiterer ist, dass Mutter und Tochter in ihrem ganzen Leben kein persönliches Gespräch geführt haben, was unverzichtbar ist, wenn man mehr über den tatsächlichen Vater herausfinden will) noch einige Jahrzehnte, bis Stephans Mutter auf die Idee kommt, ihren Vater ausfindig zu machen. Das Schicksal will es, dass sie ihren Vater wirklich findet, allerdings lebt er nicht mehr. Doch da sind noch seine ukrainische Witwe Olga und die Halbgeschwister Ljuda und Sanja, und wie es scheint, ist die verlorene deutsche Tochter herzlich willkommen. Einer Reise in die Ukraine steht nichts mehr im Wege...



Felix Stephan weiß, seine Leser zu unterhalten, er ist ein geübter Schreiber. Schließlich verdient er als Kulturjournalist sein Geld vor allem damit, seine Meinung über Bücher oder Filme zu Papier zu bringen. Nun steht er auf der anderen Seite.

Der Titel ist etwas weit hergeholt, denn so viel Frauen gibt es in Slawas Leben gar nicht, und eine Beschreibung der Beziehungen steht auch nicht unmittelbar im Vordergrund. Vielmehr schildert Felix Stephan seine ganz persönlichen Eindrücke als Begleiter seiner Mutter auf drei Reisen (zwei in die Ukraine, eine nach Israel).

Obwohl er sich dabei stilistisch nahe der Realität hält, sind seine Wahrnehmungen folgerichtig nicht neutral, sondern von seiner eigener Anschauung und Wertung geprägt. So gelingt es ihm mühelos, die Gegensätze zwischen einem Deutschland des Wohlstandes und der Ukraine mit zu großen Teilen vorhandenen sozialen Elends darzustellen. Begegnungen mit Menschen, ihre Fähigkeit, sich den Gegebenheiten anzupassen und sich trotz ihrer Sorgen und Nöte ihre Herzlichkeit zu bewahren oder sich ein schöneres Bild von einer nicht so vollkommenen Vergangenheit zu machen, rufen beim Autor einen gewissen Grad an Skepsis oder Verwunderung hervor.

Seine Darstellung spikt Felix Stephan mit Ironie und Humor, die im Verlaufe des Geschehens etwas verloren gehen, wodurch sie an Frische und Schwung verliert und den Leser nicht mehr genug „mitnimmt“. Daneben bleibt die eigentliche Hauptperson teilweise auf der Strecke, weil über Slawa in einem eher geringen Maße berichtet wird.

„Wir erforschten weniger das Leben von Slawa als die Geschichte, die Olga von ihrem Mann erzählen wollte. Wir waren in einem Slawa-Falbusch-Erlebnispark unterwegs, den Olga entworfen hatte.“ (Seite 172)

Und am Ende ist der Leser ebenfalls unschlüssig: Vielleicht war Slawa Falbuschs Leben ein verzweifeltes oder ein zweifelndes. Ob es ein zweifelhaftes war, mag dahingestellt sein.

3,5 Sterne

1 Kommentar:

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