Donnerstag, 30. Januar 2025

Verlagstage - Kanon Verlag: Die Schatten von Prag

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Die Burg thronte über der Stadt. Der Mond blendete die Moldau, damit sie nicht auch noch einschliefe … Am endlos gewölbten Himmel leuchteten die Sterne stumm um die Wette. Die kälteste Nacht des Jahres 1910 war hell und frostig.“

Trotzdem droht der „Goldenen Stadt“ Prag düsteres Ungemach.

Alle blicken zum Himmel hinauf, wo nach 75 Jahre wieder der Halleysche Komet an der Erde vorbeiziehen wird. Das öffnet skrupellosen Geschäftemachern und dem organisierten Verbrechen sowie zudem Verschwörern Türen und Tore. So wird die multikulturelle Prager Bevölkerung wegen des vermeintlich giftigen Schweifes des Himmelskörpers und dem prophezeiten Weltuntergang in größte Aufregung versetzt.

In dieser aufgeheizten Stimmung sorgen seltsame Todesfälle für weitere Beunruhigung, wobei wegen der bei den Leichen befindlichen Glasfläschchen alles auf Selbstmorde hindeutet. Das mag besonders ein Mann nicht recht glauben: Egon Erwin Kisch arbeitet bei der deutschsprachigen Prager Zeitung Bohemia und stößt als Polizeireporter auf das Geschehen.

Während er sich in die Ermittlungen stürzt, muss er sich zeitgleich mit Veränderungen bei seinem Arbeitgeber auseinandersetzen. Den Posten des Chefredakteurs übernimmt nämlich Gruber, ein Mann, der augenscheinlich über einflussreiche Beziehungen, nicht aber über Kenntnisse in der Zeitungsbranche verfügt. Mehrfach wird Kisch von ihm ausgebremst.

Hilfreich hingegen ist die Unterstützung von Lenka Weißbach, einer jungen Frau, die ihr Medizinstudium in Berlin aufgegeben hat und wieder in Prag lebt, weil sie ihre Mutter betreuen muss. Auch die Beziehungen von Kisch zur Halb- und Unterwelt sorgen dafür, dass er den einen oder anderen Hinweis erhält.

Als eine Verschwörung enormen Ausmaßes immer eindeutiger wird, ist die Suche nach den Urhebern nicht nur dringend, sondern auch lebensbedrohend.


Der von Tabea Soergel und Martin Becker in Gemeinschaft geschriebene Roman „Die Schatten von Prag“ liest sich wie ein Kaleidoskop der Ereignisse des Jahres 1910. Dank einer intensiven Darstellung der Örtlichkeiten werden wir mitten hineingeworfen in die lebhafte Atmosphäre der historische Metropole an der Moldau, in der sich die Vergangenheit mit der Zukunft, das Traumhafte mit der Wirklichkeit, Schönheit mit Bizzarem verbindet.

Das Autoren-Duo jongliert mit den Fakten und findet die Balance zur Fiktion, erzeugt Spannung und entwirft ein zeitlich und inhaltlich stimmiges Porträt der Stadt, in der durch das Nebeneinander vieler Nationalitäten in unterschiedlichen Klassengesellschaften und damit verbundenen Hierarchien Konfliktpotential herrscht, Licht und Schatten dicht nebeneinander liegen.

Als geglückt erweist sich die Idee, den realen Egon Erwin Kisch in den Fokus von kriminellen Ermittlung zu stellen. Ja, der später in Deutschland als „rasender Reporter“ Gerühmte, der mit einem instinktmäßigem Gespür für Situationen punktet, couragiert agiert, zur Übertreibung neigt und einen Hauch Melancholie versprüht, fügt sich hier tadellos ins Geschehen ein, zumal ihm die Autoren die fiktive Lenka Weißbach mit einem scharfen, logisch analysierenden Verstand an die Seite gegeben haben. Die junge Frau, die Medizin nur in Erinnerung an ihren verstorbenen Vater studiert, ist aus der schillernden Großstadt Berlin, dessen wilde Nächte und die erste große Liebe sie schmerzlich vermisst, zurück nach Prag gekommen, weil ihre Mutter sie braucht. Adieu Selbstverwirklichung! Adieu Claire!

Dem Medizinstudium widmet sie sich in Prag nicht mehr. Stattdessen übernimmt sie einen Job als Schreibmaschinenfräulein bei der „Bohemia“, jener Zeitung, die Kisch ebenfalls beschäftigt. Plötzlich bietet auch das in ihren Augen eher provinziell anmutende Prag mehr Reize als angenommen und die Chance, sich gegen das herrschende Frauenbild zu wehren.

Anspruchsvoll sind nicht allein die vielen Figuren, deren Zuordnung das eine oder andere Mal neu überdacht werden muss, sondern die Fülle an Informationen, die die Autoren in den Handlungsablauf einfügen. Dadurch erhält das gesamte Werk eine Komplexität, die es gelegentlich erschwert, dem Verlauf der Ereignisse konsequent zu folgen, die Beteiligten konkret zuzuordnen und dadurch zum Treibenlassen bei der Lektüre animiert. Kompliziert sind auch einzelne Beziehungsverflechtungen, so dass es bisweilen an der Nachvollziehbarkeit von Empfindungen mangelt. Dies wird jedoch hier und da durch das Aufblitzen von Ironie und Witz gelockert.

Schlussendlich bietet „Die Schatten von Prag“ gelungene Unterhaltung im Gewand eines historischen Kriminalromans, die gern eine Fortsetzung erfahren darf. Und tatsächlich erscheint der zweite Fall im Herbst diesen Jahres.

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Der Roman ist im Kanon Verlag erschienen, dem ich für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares danke.


Dienstag, 28. Januar 2025

Verlagstage - Kanon Verlag: "Mir fällt gerade ein ..."

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Meine erste bewusste Erinnerung an Manfred Krug – neben den Erzählungen meiner Eltern – war die eines Märchenkönigs. Drosselbart entsprach so gar nicht dem klassischen Bild und sang dazu noch. Damit füllte er seine Rolle des Königs, der als Spielmann das Herz der stolzen Prinzessin erweichen kann, allerdings sehr gut aus.

Singen konnte er also und schauspielern auch. In der DDR war der Stahlarbeiter, der mit seinen Auftritten als Schauspieler und Sänger bleibende Eindrücke hinterließ, beliebt und eine „kleine“ Berühmtheit, und als er 1977 ausreisen musste, ist sicher nicht nur ihm der Abschied schwergefallen.

Manfred Krug knüpfte in der Bundesrepublik an seinen Erfolg an und mit „Auf Achse“, „Liebling Kreuzberg“ und dem „Tatort“ schrieb er Fernsehgeschichte. Selbst seine Karriere als Sänger blieb nicht auf der Strecke.

Und nicht nur das. Manfred Krug war zudem ein passionierter Flohmarktbesucher und beharrlicher Sammler von Antiquitäten und Kuriositäten. Daneben ein sorgfältiger Zeitungsleser, Fernsehgucker, großartiger Tagebuchschreiber und Notierer von vielen Beobachtungen und Anmerkungen, Erkenntnissen und Weisheiten, Anekdoten und schrägen Momente, Geistesblitzen und Assoziationen.


An diesen zum Teil verblüffenden Einsichten dürfen wir teilhaben, wenn wir das Büchlein „Mir fällt gerade ein …“ zur Hand nehmen. Bemerkenswert an diesem von Lektorin Krista Maria Schädlich zusammengestellten wundersamen Sammelsurium ist die Vielfalt des Interesses von Manfred Krug.

Mit einer Neugier und Leidenschaft auf die (Um)Welt betrachtet er Menschen und Tiere, Zeitungen und Nachrichten, Fernsehsendungen, Filme und Dreharbeiten, speichert erstaunt und begeistert Wissenswertes, führt haargenaue Auflistungen von Flohmarktfunden, äußert seine unverblümten Auffassungen und Meinungen zu Politikern, Künstlern und Handwerkern und vermittelt mit diesen im Kern eventuell unwichtigen, im Inhalt indes unentbehrlichen Dingen manch verblüffende Sichten hinter die Fassade eines selbstbewussten Mannes und Menschen.

"Im Dresdener Zoo gibt es eine Riesenschildkröte 'Arnoldi', die eines der 18 letzten Exemplare ist. Das Tier, ein Männchen, stammt von den Galapagos-Inseln und ist 140 Jahre alt. Es hat damit die Hälfte seiner Lebenserwartung hinter sich und soll jetzt auf die Inseln zurückkehren, die Art retten helfen." 

Seine Ergänzung findet das Büchlein durch die Radierungen des Malers und Grafikers Moritz Götze, der bereits den Krugschen Lyrikband „66 Gedichte – Was soll das?“ illustriert hat.

Das Sammelsurium, dieses amüsante und liebenswürdige Durcheinander, ermöglicht es, dem Menschen Krug nahe zu kommen und seine Begeisterung für Absurditäten und das Ausgefallene sowie seinen speziellen nachdenklichen Blick auf das Leben in zwei deutschen Staaten und die Welt kennenzulernen, auch wenn vielleicht der Hintergrund der ein oder anderen Anmerkung verborgen bleiben wird.

4,5 Sterne

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Das Sammelsurium ist im Kanon Verlag erschienen, dem ich für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares danke.

Montag, 27. Januar 2025

Verlagstage - Kanon Verlag: Vorstellung

In diesem Jahr möchte ich ein Projekt realisieren, das ich bereits seit Längerem geplant habe. Und zwar stelle ich euch immer mal wieder einen Verlag vor, dessen Bücher ich gern lese. Das kann ein namhafter oder auch ein weniger bekannter Verlag sein, und meine Beiträge werden neben Wissenswertem und einem Einblick ins Programm auch die Präsentation einiger Bücher mit entsprechender Rezension beinhalten.

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Los geht es mit einem kleinen unabhängigen, im Berliner Bezirk Schöneberg ansässigen Verlag, der 2025 sein fünfjähriges Bestehen feiert: der Kanon Verlag.

KANON beinhaltet nicht nur eine Liste an Büchern, die gelesen werden sollen, sondern hält auch das richtige Maß, die sinnvolle Bemessung fernab der Konsumgesellschaft, des Literaturpatriarchats oder des opportunen Diskurses bereit.

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KANON sind "die mit dem Affen", denn das Verlagssignet ist der Affe und nimmt damit beispielsweise Bezug auf Kafka und die Ansicht, "dass wir, die Menschen, lediglich erzählende Primaten seien. Nur die Fähigkeit zur Fiktion unterscheide uns von unseren nächsten Verwandten. Das gilt im Guten wie im Schlechten. Unsere Gedanken- und Wortgebäude können zu Gulags, Lagern und Krieg führen. Doch wenn sie wohlbemessen und human sind, schaffen sie freien Raum für kritisches Denken und offenes Fühlen." (Quelle: Verlagsseite)
 
KANON sind die Autorinnen und Autoren, die mit Ernsthaftigkeit schreiben und jene komplexe, zum Teil verstörenden Zeitströmungen und subjektiven Zeiterscheinungen mit den Mitteln der Kunst begreifen.
 
KANON lässt sich darauf ein, bietet eine Orientierung am Integren und nicht am Manipulativen, ist Suchender ohne fertiges Meinungbild, will Genauigkeit statt Kitsch. 
 
KANON fördern darum Erzählerinnen und Erzähler, die sich nicht dem Mainstream unterwerfen und die Welt auf eigene Weise ergründen.
 
KANON sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit langjähriger Berufserfahrung und großer Leidenschaft in allen Abteilungen des Verlages.

KANON stellt "schöne Bücher" her. Ein Markenzeichen sind deshalb auch der verkürzte Buchumschlag und der bedruckte Buchkörper, so dass Kunstwerke zwischen Ordnung und Wildheit entstehen.
 
KANON veröffentlicht ein überschaubares Programm, und das soll auch so bleiben, damit sich jedem Buch intensiv gewidmet werden kann, sei es im Lektorat oder in der Vermittlung. "Zurzeit erscheinen bei Kanon etwa ein Dutzend pro Jahr, davon etwa acht belletristische Bücher und vier aus den Bereichen Erzählendes Sachbuch, Tagebuch oder Briefe. Mindestens ein deutschsprachiges Erzähldebüt pro Jahr ist neben internationalen Titeln zu finden." (Quelle: Verlag)
 
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KANON verfügt über ein eigenes Hörbuchprogramm und produziert pro Halbjahr zwei ungekürzte Lesungen mit exzellente und authentische Sprecherinnen und Sprechern, die sich mit den eingelesenen Inhalten identifizieren,. Das Erscheinen erfolgt dann zeitgleich zum gedruckten Buch als physische und digitale Hörfassungen.

KANON möchte sichtbar sein und "sein Publikum erreichen, wo immer es sich befindet." (Quelle: Verlag)
 
Fortsetzung folgt ...

Donnerstag, 16. Januar 2025

Tage im Januar ...

 
 
 ... an denen wir uns über das Licht freuen.


Donnerstag, 9. Januar 2025

Die Leuchttürme der Stevensons

 
Robert Louis Stevenson ist als Schriftsteller berühmt. Kaum jemand weiß jedoch, dass die Männer in seiner Familie einer Dynastie von Ingenieuren angehörten, die entlang der schottischen Küste eine Vielzahl bedeutender Bauwerke konstruiert haben: Leuchttürme.
 
Auch Louis soll der Tradition folgen, und so studiert er 1869 an der Universität in Edinburgh. Aber ohne Enthusiasmus, denn in seinen Augen fehlt ihm das Talent zum Ingenieur. Stattdessen möchte er seine Gedanken in Worte fassen, beflügelt von seiner Fantasie Geschichten schreiben, ein Dichter sein.
 
Zugleich will er indes auch die Erwartungen seines strengen Vaters nicht enttäuschen und bemüht sich, diesen gerecht zu werden. Zumal der Vater für die „Launen“ seines Sohnes wenig Interesse zeigt, ja sie sogar ablehnt.
 
Aus diesem Grund besteht er auch darauf, dass Louis ihn auf mehreren Inspektionsreisen begleitet oder sich allein an verschiedene Bauplätze begibt. Vor Ort soll er das Handwerk (er)lernen und das passende berufliche Rüstzeug erhalten.
 
Bei diesen Gelegenheiten erfährt der angehende Ingenieur von den Bedingungen und Widrigkeiten, die mit der Errichtung eines Leuchtturms einhergehen, riskiert sogar das eigene Leben. Das erhöht seinen Respekt vor den in diesem Zusammenhang zu bewältigenden Aufgaben und Gefahren, glücklich macht es ihn allerdings nicht ...
 
 
Sabine Weiß beeindruckt in ihrem neuen historischen Roman „Die Leuchttürme der Stevensons“ mit ihrer akribischen Recherchearbeit, so dass nicht nur ein authentisches Porträt des Schriftstellers Robert Louis Stevenson in seinen Jugendjahren entsteht, sondern gleichzeitig auch dem Wirken seiner Familie ein kleines Denkmal gesetzt wird.
 
Der Autorin gelingt es von Anfang an, einen Teil wichtiger Lebensthemen und -zeiten von Stevenson anzusprechen und mit visueller Kraft darzustellen. Sie formuliert ausführlich und leidenschaftlich, fängt den damals herrschenden Zeitgeist in Anbetracht der religiösen und gesellschaftlichen Vorstellungen der Menschen ein und charakterisiert vor allem ihre Hauptfigur mit augenfälliger Gründlichkeit.
 
Außerdem faszinieren ihre mit intensiver Ernsthaftigkeit ausgeführten Beschreibungen von Natur und Bauwerken, bei denen die epische Fabulierfreude der Autorin manchmal überschwänglich zum Ausdruck kommt. Wir lernen hautnah schottische Inseln, Wellenbrecher und Leuchttürme kennen und setzen uns mit der Gefährlichkeit der Errichtung solcher Projekte auseinander wie auch mit der Tatsache, was die Menschen dafür mit welchen Schwierigkeiten auf sich genommen haben. Dramatische Ereignisse werden mit wenigen Spannungsmomenten und in direkter Schlichtheit geschildert, hingegen wiederholen sich gelegentliche Überlegungen und Gedankenspiele jungen Mannes.
 
Davon einmal abgesehen, hat Sabine Weiß die Fähigkeit, Stimmungen auf bemerkenswerte Art auszudrücken. So vermittelt sie mit Können und Nachvollziehbarkeit nicht nur den Konflikt zwischen Vater und Sohn, in dem es um das Erfüllen von Erwartungen und Familientraditionen geht. Sie thematisiert auch den inneren Zwiespalt, den Drang und den Wunsch von Robert Louis Stevenson, seinen Geist mit Dichtkunst zu entfalten und zu schreiben, was letzten Endes – wie wir wissen – erfolgreich sein wird.