Sonntag, 30. September 2018

Rezensionswoche 4. Tag: Das Ende des Friedens


„Es ist fast tausend Jahre her, seit der Schleier herabgelassen wurde… Jetzt wird er schwächer. Die Roten Götter werden mächtiger, und das Licht nimmt ab. Blut wallt auf.“

In der Welt von Gilgoras herrscht seit fast tausend Jahren ein brüchiger Waffenstillstand zwischen dem Volk des fruchtbaren Rilpors und den Mirak in den unwirtlichen Bergregionen. Es sind hingegen nicht nur die Menschen, die sich gegenüberstehen, sondern auch unterschiedliche Götter: Während die Rilporer Anhänger der Götter des Lichts sind, huldigen die Mirak den Roten Göttern. Und Letztere sind es, die nach jahrelanger Verbannung nach Rilpor drängen, auf einem Weg aus Blut und Chaos. Denn nur wenn Blut fließt, können sie wieder zurück in ein physischen Dasein kehren und Wesen aus Fleisch werden.

Unter Führung von Lanta, die von ihrem Volk wegen ihrer Nähe zu den Göttern Gesegnete nennen, begeben sich die Mirak sich auf den Weg, ihre Verbannung zu beenden.

Die Aussichten sind denkbar günstig. Zwar hat die Sklavin Rillirin in ihrer Verzweiflung den König der Mirak getötet und ist danach geflohen. Doch Corvus, der neue König, beweist, wozu er er nach seiner Machtergreifung fähig ist.

Außerdem ist das Reich Rilpor geschwächt. Denn König Ratoth, einst angesehener Herrscher, vergräbt sich nach dem gewaltsamen Tod seiner Ehefrau in seiner Trauer und verfällt vor den Augen seiner Söhne Janis und Rivil zunehmend dem Wahnsinn.

Doch damit nicht genug. Während die Mirak sich sammeln und immer stärker werden und zudem Verräter in den eigenen Reihen agieren, sind die Rilporer völlig ahnungslos in Bezug auf die drohende Gefahr. Lediglich der Seher Dom erhält von den Göttern in Visionen einen nebulösen Blick in die Zukunft. Der Calestar ist es auch, der die Bedeutung von Rillirin, die Aufnahme bei den Beschützern der Grenze von Rilpor, den Wächtern und Wölfen gefunden hat und von einigen misstrauisch beäugt wird, erkennt. Allerdings kämpft Dom mit eigenen Dämonen...


Anna Stephens „Wächter und Wölfe. Das Ende des Friedens“ ist blutrünstig, brutal, düster und beginnt mit einer Opferung, einer versuchten Vergewaltigung und einem Mord. Eine zartbesaitete Seele mit schwachen Nerven mag sich dem möglicherweise nicht aussetzen.

Auch danach macht es die Autorin dem Leser zunächst nicht leicht, dem Geschehen zu folgen. Zwar ist dank der im Innenteil des Buches befindlichen Karten eine ausgezeichnete Orientierung möglich, und zudem beschränken sich die Handlungsorte auf Rilpor und das Gilgoras-Gebirge, wodurch die Welt ausschnitthaft klein und (noch) ohne Bezug zu den umgebenden Ländern und Völkern dargestellt wird. Zudem sind die einzelnen Kapitel in der Regel kurz und überschaubar. Doch wechseln von Anfang ständig die Protagonisten und folglich auch die Perspektiven. Und so scheint der Überblick verloren zu gehen.

Ist allerdings diese erste Hürde überwunden, bleibt eine pure Begeisterung, in das spannungsvolle und wendungsreiche Geschehen einzutauchen. Denn Anna Stephens offeriert in ihrem durchaus ambitioniert zu nennenden Debüt eine komplexe und funktionierende, wenngleich noch nicht in Gänze und epischer Breite ausgearbeitete Welt, die hauptsächlich von (Macht)Kämpfen geprägt ist. Kein neues Szenarium, und doch bringt die Autorin mit ihrem Konstrukt der miteinander rivalisierenden Götter, die sich in die Belange der sterblichen Menschen einmischen und diese zu lenken versuchen, einen interessanten Aspekt in ihr fantasievolles Handlungsgeflecht.

Im Verlauf der Ereignisse gelingt es, den vertraut werdenden Figuren zu folgen und ihre Wesen zu ergründen. Hier liegt die Stärke der Autorin.

Ihre Protagonisten präsentieren sich als faszinierende bunte Mischung, die sich in keine Schablonen passen lassen. Es dauert eine Weile, bis die Fronten, wer auf welcher Seite steht, geklärt sind. Nachdem diese Frage nicht mehr im Raum steht, treten beide Gruppen mit ausgereiften Charakteren beidseitigen Geschlechts auf und erweisen sich einander in der Wahl der Mittel als durchaus ebenbürtig.

Dabei wachsen einem einige schnell ans Herz. Zum Beispiel Rillirin, die ehemalige Sklavin, zunächst zurückhaltend und fragil, jedoch mit einem starken Entwicklungspotential. Crys Tailorson, der unbestreitbar ein talentierter Soldat, aber ebenso ein Filou mit losem Mundwerk ist, gern dem Glücksspiel frönt und immer wieder degradiert wird. Calestar Dom, der als Seher unerwünschte Botschaften von den Roten Göttern erhält, und unfreiwillig mit ihnen in Verbindung tritt. Andere wie die Gesegnete Lanta wiederum – zwar de facto als Böse angelegt – sind aber in ihrer Handlungsweise so ihrem Glauben verhaftet, dass diese aus deren Sicht nachvollziehbar erscheint.

Aber natürlich würde die die Geschichte nicht funktionieren, wenn sie nur grauslich und unappetitlich (wobei zugegebenermaßen schon ein paar diesbezügliche Szenen vorhanden sind, die im Gedächtnis bleiben) wäre und die handelnden Personen tumb und entsetzlich wären. Vielmehr stecken neben Verrat, Misstrauen, Verschwörung, Intrigen und politische Machenschaften, Verzweiflung und Tod auch Loyalität und ehrenvolles Verhalten, Vertrauen, Zuversicht, Freundschaft, Liebe und Zuneigung darin. Anna Stephens gönnt einigen ihrer Helden durchaus auch wenige, aber trotzdem schöne Momente, unerwartet, überraschend und zum Teil abseits der gängigen Muster.

Dies ist „Das Ende des Friedens“. Es ist intensiv und grausam zugleich. Und Anna Stephens beschert dem Leser einen fiesen Cliffhanger, so dass die Wartezeit bis zum zweiten Band der als Trilogie angelegen Reihe äußerst lang erscheint. Doch „Das Erwachen der Roten Götter“ kann nicht aufgehalten werden. Im Februar 2019 ist es soweit.

4,5 Sterne


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Erschienen ist der Roman im Blanvalet Verlag, dem ich für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares danke.

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