Sonntag, 30. Juni 2019

Zwei an einem Tag: Ich werde fliegen


New York 1993/1994. Lucy Adler ist 17, jeweils zur Hälfte Jüdin und Italienerin, stammt aus einem liebevollen Elternhaus und hat einen schlauen Kopf, mit dem sie alles hinterfragt. Sie geht auf eine elitäre Privatschule in Manhattan, spielt mit sehr viel Talent Basketball. Es gibt nur zwei Probleme. Sie ist ein Mädchen, und sie ist heimlich in ihren besten Freund Percy verliebt. Mit dem kann sie zwar über französische Existenzialisten diskutieren, mehr als ihre Gedanken teilt er allerdings nicht mit ihr.

Percy selbst bekommt nämlich von Lucys Gefühlen gar nichts mit. Er sieht gut aus, ist den Mädchen gegenüber sehr aufgeschlossen und wechselt sie wie Kaugummi, ohne je wirkliche emotionale Bindungen einzugehen. Percy bewegt sich mit Leichtigkeit durch die Welt, hat ein echtes Problem mit Autoritäten, nutzt jedoch die ihm als Sohn reicher Eltern gegebenen Freiheiten aus und versucht gleichzeitig, sich deren Einfluss zu entziehen. Im Grunde bleibt ihm aber wegen seiner schlechten schulischen Leistungen nichts anderes übrig, sich dem Willen und den Konventionen zu beugen, weil er ohne Hilfe keine Möglichkeit hat, auf einer Elite-Universität angenommen zu werden. Etwas, das für Lucy keine Mühe darstellt...


Dana Czapnik wurde in New York geboren und ist begeistert von ihrer Heimatstadt. Das wird in ihrem Debütroman „Ich werde fliegen“ in einer sehr intensiven Art und Weise durch umfangreiche und atmosphärisch dichte Beschreibungen deutlich. Die Detailverliebtheit ist für indes für Außenstehende, die New York nicht kennen, in ihrer Üppigkeit das eine oder andere Mal zu viel.

Ansonsten fällt die Autorin mit einem lebhaften Schreibstil auf, der aufrichtig und authentisch klingt und mit jugendlicher Energie angereichert ist. Leider zeigt sich hierbei ebenfalls ein Hang zur Ausschweifung, der das Lesen ab und an anstrengend macht.

Dana Czapnik hat sich hervorragend in das Seelenleben ihrer Protagonistin hineinversetzt, wenn diese aus ihrer Sicht über ihre Stadt, ihre Generation, die Klassenunterschiede in der Gesellschaft, ihre Zukunft und Träume, ja auch über ihr Liebesleben und die Stellung der Frauen nachdenkt. 

Lucy ist kein Mädchen von der Stange. Sie ist keine Schönheitskönigin, eher eine Außenseiterin, die sie ab und an danach sehnt, einem bestimmten Ideal zu entsprechen.

Nietzsche sagt, dass Schönheit dann am edelsten ist, wenn sie allmählich in das Herz und den Verstand einsickert. Er nennt es den langsamen Pfeil der Schönheit. Die Art von Schönheit, die man zuerst vielleicht gar nicht wahrnimmt, die uns dann aber nicht mehr loslässt. Was für eine wunderbare Vorstellung. Ich wünschte, ich könnte daran glauben.“ (Seite 108 f.)

Dabei hat Lucy das mit ihrer aufgeweckten und erfrischenden Art, Dinge anzugehen, gar nicht nötig. In ihr verknüpfen sich Natürlichkeit mit Intelligenz und Nachdenklichkeit mit Verletzlichkeit, treffen Selbstbewusstsein auf Unsicherheit und Zynismus auf Weisheit.

Bei einem Blick in die Tiefen ihrer Seele entpuppt sich eine vielschichtige Persönlichkeit, die in sich die Tochter, Freundin, Basketballspielerin und das Mädchen mit Liebeskummer trägt, aber nicht zu denen gehört, die sich von ihrem Schmerz über unerwiderte Liebe brechen lassen.

Denn das Leben hält noch viel für sie bereit. Lucy wird ihre Flügel ausbreiten und fliegen…

3,5 Sterne
 

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