Ellery
Hathaway ist Polizistin im verschlafenen Woodbury. Ihre
Entscheidung, dort zu leben, kommt nicht von ungefähr. Vor vierzehn
Jahren wurde sie vom Serienmörder Francis Michael Coben verschleppt und sollte sein siebzehntes Opfer werden. Sie ist die einzige, die
dessen Grausamkeiten überstanden hat und gerettet werden konnte.
Als
innerhalb von drei Jahren jedes Mal um ihren Geburtstag herum
Menschen aus der Stadt verschwinden, und sie Glückwunschkarten
erhält, befürchtet Ellery, dass – obwohl sie ihren Vornamen und ihre
Haarfarbe änderte – jemand ihr Geheimnis kennt und dass auch
zwischen den Entführungen ein Zusammenhang bestehen muss. Gehör
findet sie bei ihrem Vorgesetzten nicht, zumal von den vermissten
Personen keinerlei Spuren zu finden sind. Nun naht wieder ihr
Geburtstag, und Ellie vermutet, dass es eine erneute Entführung geben
wird. Sie wendet sich an Reed Markham, jenem Special Agent des FBI,
der sie damals aus ihrem Gefängnis, einem Wandschrank, befreit und
somit gerettet hat, dem sie vertraut und
ebenso zutraut, sie zu unterstützen, mit
seinem Fachwissen die Wahrheit aufzudecken.
Joanna
Schaffhausen überzeugt in “Wie
viele willst du töten” mit einer gut ausgearbeiteten Geschichte,
die atmosphärisch dicht, aber
auch mit Düsternis erzählt
wird und geschickt
aufgebaut ist. Während wir zu Beginn gemeinsam mit einer
unbekannten Person aus der Entfernung die Entführung beobachten,
hält sich die Autorin im Verlauf des Geschehens mit detaillierten
Angaben zurück. Lediglich die Fakten, dass Ellery, die einst
Abigail hieß, verschleppt und gefoltert wurde, legt sie offen. Was
genau der Serienmörder Coben ihr angetan, was sie so verändert hat,
bleibt wage, rätselhaft und im Dunkeln. Weiter wissen wir nur, dass
sie gerettet wurde. Doch wurde sie das wirklich? Wir sehen die Narben
an ihren Handgelenken und ahnen, dass die Realität dessen, was
passiert ist, außerordentlich erschütternd sein muss und bekommen Spielraum für
eigene Interpretationen, inwieweit sich die Ereignisse vor vierzehn
Jahren auf Ellies geistige Gesundheit ausgewirkt haben.
Ellery
ist verschlossen und zurückhaltend, von ihrer Vergangenheit weiß
hier in Woodbury niemand etwas. Sie scheut Kontakte außerhalb der
Arbeit und pflegt ledigleich wenige Beziehungen, wie die zu Bump, ihrem
Hund, und einem Mitarbeiter des Tierheims, aus dem Bump stammt.
Trotz
ihrer unzweifelhaft wegen des in der Jugend erlittenen Schicksals
vorhandenen psychischen Probleme ist die junge Frau eine glaubwürdige
Heldin, die ihre Dämonen der Vergangenheit in ihrem stillen einsamen
Haus mit den zugenagelten Wandschränken hartnäckig in Schach zu halten versucht. „Sie ist wie eine Soldatin, die aus dem Krieg heimgekehrt
ist… Sie ist stark. Angeschlagen. Erstaunlich witzig, wenn sie sein
will.“ (Seite
143)
Reed
Markham ist nach all den Jahren immer noch
stolz darauf, dass er Ellie aus Cobens
Fängen befreien konnte. Indes die Gegenwart
sieht eher
traurig aus. Seine Ehe ist gescheitert und nach einem fehlerhaften
Profiling mit fatalen Folgen
wurde er beurlaubt. Seine
Unsicherheit, wieder zu versagen, verbirgt
er, will er Ellie - auch wegen ihrer
besonderen Beziehung – helfen und zugleich erfahren, was aus ihr
geworden ist.
Schnell
wird klar, dass viele Dinge nicht so sind, wie sie scheinen. Die Jagd
nach dem Killer, die Geheimnisse und
verschiedenen Möglichkeiten weiß Joanna
Schaffhausen wendungsreich und mit langsam,
stetig ansteigendem Spannungsbogen in
Szene zu setzen.
"Wie viele willst du töten" erweist sich als faszinierende komplexe psychologische Studie, die sich vor allem auch einmal mit den Auswirkungen eines Verbrechens beschäftigt.
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