Montag, 14. Mai 2018

Von der Freiheit und der Selbstbestimmung

„Die Freiheit ist wie Luft. Wir merken erst, wie viel sie wert ist, wenn sie uns fehlt.“

Diese Worte stellt Christine Kabus ihrem aktuellen Roman voran. In "Das Lied des Nordwinds" lernen wir mit Karoline und Liv zwei junge Frauen kennen, für das Wort Freiheit eine vielfältige Bedeutung besitzt.

Während der Himmel für Karoline im Mai 1896 noch voller Rosen hängt und sie sich auf ihre Hochzeit freut, sind ihre Träume neun Jahre später zerplatzt. Die Wirklichkeit hat sie eingeholt, und diese sieht so aus:

Ihr Mann Moritz hat sie nur wegen der Mitgift geheiratet und ansonsten kein Interesse an ihr. Die Schwiegermutter verachtet sie, auch weil sie in den vergangenen Jahren kein Kind bekommen hat. Karoline lebt abgeschieden auf Schloss Katzbach in Schlesien und schafft sich mit Büchern eine Fantasiewelt. Zumindest in dieser existiert ein Mann, der sie mit Respekt behandelt und ihr ritterlich zur Seite steht, wenn es schwierig wird. Eine Art von Freiheit. Denn Karoline selbst geht den Problemen aus dem Weg. Mut gehört nicht unbedingt zu ihren prägenden Eigenschaften. Das ändert sich, als sie erfährt, dass ihr Mann in Norwegen ein uneheliches Kind gezeugt haben soll. Sie sieht darin eine Chance, nicht nur für den gewünschten Erben zu sorgen, damit der Familienbesitz nicht an einen ungeliebten Verwandten geht, sollte sich bei den Blankenburg-Marwitzens kein Nachwuchs einstellen, sondern erhofft sich daneben ein Quäntchen Glück für sich selbst. Und so macht sie sich auf die Suche...

Demgegenüber hat Liv im Haus ihrer Eltern bislang den wahren Unbill des Lebens kennengelernt. Seit frühester Jugend unterstützt sie ihre Mutter beim Broterwerb für die Familie, weil dies ihrem Vater nach einem Unfall nicht möglich ist. So kommt sie als Dienstmädchen nach Stavanger in das Haus von Oddvar und Ingrid Treske. Viel lieber wäre sie allerdings frei von irgendwelchen Dienstherren und ebenso von den Eltern.

Schon bei ihrer Ankunft muss sie mit ansehen und erleben, wie Oddvar Treske seinen Sohn Elias maßregelt. Sie wendet sich dem Jungen offen und behutsam zu und knüpft schnell eine besondere Beziehung zu ihm. Bald vermutet sie, dass hinter dem Verhalten von Oddvar Treske mehr steckt als die sittenstrenge Erziehung eines fürsorglichen Vaters...


Christine Kabus ist mit ihren in Norwegen angesiedelten Geschichten, die durch ihre ausgezeichnet recherchierten – vor allem der historischen – Hintergründe und Zusammenhänge punkten, zu einer festen Größe in der Leselandschaft geworden. Auch ihr fünfter Roman nimmt uns mit auf eine Reise in den Norden, an deren Ende wir mit neuem Wissen bestückt und außerordentlichem Wohlgefühl das Buch aus der Hand legen.

Dies resultiert aus dem Vermögen der Autorin, Land und Leute mit Können und spürbarem Enthusiasmus zu formen, so dass einzigartige Bilder bei der Lektüre entstehen und zum nachhaltigen Leseerlebnis beitragen.

Dabei ist hoch einzuschätzen, dass sich Christine Kabus nach „Das Geheimnis der Mittsommernacht“ in ihrem hier vorgelegten Werk „Das Lied des Nordwinds erneut auf meisterhafte Art und Weise mit der Stellung der Frau im Blickwinkel der Zeit auseinandersetzt, diese ins rechte Licht rückt und lebensechte und zugleich emotional agierende Porträts erarbeitet.

Es ist das Jahr 1905. Norwegen befindet sich an einem Wendepunkt in seiner Geschichte und will sich aus der schwedisch-norwegischen Personalunion und damit aus der Abhängigkeit von Schweden lösen.

Wie das Land sind auch Liv und Karoline – dabei spielt es keine Rolle, dass Karoline Deutsche ist – anfänglich in ihren Korsetts gefangen. Zwar trennt sie ihre jeweilige Herkunft, eint jedoch die Einbindung in die gesellschaftlichen Normen und damit das Fehlen der Freiheit, selbständige Entscheidungen zu treffen.

Es gelingt ihnen erst nach und nach, sich davon freizumachen, einen inneren Wandel zu vollziehen, Bewusstsein für die Bedürfnisse und Träume sowie Selbstwertgefühl zu entwickeln und Courage zu verstärken.

Dabei haben beide Hilfe. Es gibt Menschen, die ihnen die Augen öffnen und es vermögen, ihnen Alternativen zu ihrem bisherigen vorgefassten Lebenswegen aufzuzeigen.

So ist es Bjarne, der Livs Denken in Gang setzt, ihr die Einsicht in eine völlig andere Welt eröffnet, sie mit neuen Ideen bekannt macht, über Dinge grübeln lässt, über die sie sich zuvor nie mit jemandem ausgetauscht hat.

In Karolines Fall vermittelt Auguste Bethge ihr ein Frauenbild, dem sie zuvor keine Beachtung geschenkt hat. In deren Begleitung entwickelt Karoline sich und verändert ihre Sichtweise. Sie findet Gefallen an der Formulierung eigenen Gedankengutes, über ihre eigenen Probleme hinaus einen Blick auf die Unzulänglichkeiten der Welt im Allgemeinen und die der Frauen im Besonderen zu werfen, Verantwortung zu übernehmen, Wunschträume verwirklichen zu wollen.

"Jeder Mensch hat das Recht, selbst über sich zu bestimmen." Mit ihren Heldinnen Liv und Karoline erbringt Christine Kabus ein anschauliches Beispiel dafür, dass dieses Ansinnen von Erfolg gekrönt ist.

4 Kommentare:

  1. Liebe Anke,

    das ist ein gutes Buch.

    Sonnige Grüße
    Elisabeth

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  2. Liebe Anke,
    Deine ausführliche Rezession macht mir Lust auf dieses Buch,
    liebe Grüsse Margot

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  3. Liebe Anke,
    ja, ich finde auch, dass du es versthst, rictig Lust auf dieses Buch zu machen. Ich habe von der Autorin bisher nichts gelesen, aber das könnte sich durchaus ändern...
    Zu meinen rot blühenden Erdbeeren: Die erste beginnt schon zu reifen, und sie scheint durchaus rot zu werden ;-))
    Herzliche rostrosige Grüße von der Traude
    http://rostrose.blogspot.co.at/2018/05/anl-29-tomorrow-teil-3-nahrung-fur-die.html

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  4. Tsts, wo bleiben denn die Buchstaben, auf die ich tippe?
    "versthst, rictig"
    heißt natürlich
    verstehst, richtig

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